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Castro - Graphic Novel / Comic
von Reinhard Kleist, mit einem Vorwort von Volker Skierka
280 Seiten, Hardcover, farbig, Deutschland: € 16,90 / Oesterreich: € 17,40 / Schweiz: sFr 30,90, Erscheinungsdatum: 1. Oktober 2010, Carlsen Verlag, ISBN 978-3-551-78965-5
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Marta Feuchtwanger Copyright Volker Skierka
Ein Don Quijote gegen Dummheit und Gewalt
Einstündiges Radio-Feature von Volker Skierka für NDR-Kultur aus Anlass des 50. Todestages am 21. Dezember 2008 und des 125. Geburtstages des deutsch-jüdischen Schriftstellers Lion Feuchtwanger am 7. Juli 2009 sowie ein Gespräch mit dem Schriftsteller und Literaturexperten Prof. Fritz J. Raddatz.

Der Freund und Weggefährte von Bertolt Brecht, Heinrich und Thomas Mann, Arnold Zweig sowie anderen literarischen Zeitgenossen zählte zu den ersten, den die Nationalsozialisten nach der Machtergreifung Hitlers ausbürgerten. 1933 zog der Verfasser historischer Romane wie „Jud Süß“, „Erfolg“, „Der jüdische Krieg“ und „Goya“ zunächst nach Sanary-sur-mer an der französischen Mittelmeerküste. 1940, nach dem Überfall Deutschlands auf Frankreich, mußte er er unter dramatischen Umständen in die USA fliehen. „Die Dummheit der Menschen ist weit und tief wie das Meer“, schrieb er 1933 in einem Brief an Zweig. Seine Arbeit widmete der linksbürgerliche Romancier dem – vergeblichen - Kampf der Vernunft gegen Dummheit und Gewalt. Volker Skierka, Journalist und Biograf Feuchtwangers, zeichnet dessen Leben anhand von Dokumenten, Interviews und – bislang unveröffentlichter - Tonbandaufnahmen zahlreicher Gespräche nach, die der Autor einst mit Feuchtwangers Witwe Marta und seiner Sekretärinnen Lola Sernau führte.
(Mehr unter Menüpunkten "Publikationen / Lion Feuchtwanger" sowie "Villa Aurora")

Konzentrationslager Birkenau (Auschwitz). - Text und Fotos: Volker Skierka
Weiße Flecken, dunkle Geschichte
Aus: Der Tagesspiegel, 20. Jan. 2006

80 Jugendliche, Deutsche und Polen, auf der Suche nach der Wahrheit, die die Nazis unterdrückt haben. Versuch einer Versöhnung

Alles ist wie in Watte gebettet. Der Schnee liegt hoch, die Bäume und der doppelte Stacheldrahtzaun sind weiß überpudert. In klirrender Kälte passieren die polnischen Germanistik-Studentinnen Kasia Król und Maria Mrówca das weit geöffnete Tor unter dem Schriftzug „Arbeit macht frei“. Es ist früh am Tag. Man ist allein im ehemaligen Menschen-Vernichtungslager Auschwitz und Birkenau. Stumm, in sich gekehrt und ziellos gehen die jungen Frauen durch die einsamen Lagerstraßen, stehen in einer der ehemaligen Gefangenen-Unterkünfte plötzlich vor einer 20 Meter langen Glaswand, hinter der zwei Tonnen Menschenhaar liegen. Es konnte wegen der Befreiung des KZs nicht mehr an die Textilindustrie geliefert werden.

Kasia, die große, schlanke Dunkelhaarige, ist 21 Jahre alt, Maria, etwas kleiner und blond, ist 23. Ihre Gesichter sind wie versteinert. Draußen sagt Kasia nur: „Wenn man daran denkt, dass viele der Täter und der Opfer in unserem Alter waren …“ Dann nimmt Maria den Faden auf und sagt: „Ich glaube, es ist wichtig für die Deutschen, dass Menschen anderer Nationen mit ihnen darüber sprechen.“
In dem massiven roten Backsteinbau mit der Nummer 24, wo das Archiv jenes Ortes untergebracht ist, haben Kasia und Maria mit drei Kommilitoninnen und einem Kommilitonen von der Universität des 60 Kilometer entfernten Krakau mit einem einzigartigen deutsch-polnischen Geschichtsprojekt begonnen.

Die Studenten forschten nach Lücken und Manipulationen in der seit dem Überfall Hitlers auf Polen 1939 gleichgeschalteten Lokalpresse. Diese „weißen Flecken“ in der offiziellen Berichterstattung, versuchten die Studenten 60 Jahre nach Kriegsende mit Wahrheiten zu füllen. „Hunderte von dicken Bänden, Tagebücher und Dokumente, liegen hier“, sagen sie. „Wir haben einfach einige herausgegriffen, darin geblättert und gelesen. Das war der Anfang.“
Herausgekommen ist dabei aber nicht eine neue Arbeit über den Massenmord von Auschwitz, sondern eine Untersuchung über ein nahezu unbekanntes Thema – über den damals weitverzweigten und oft tödlichen Widerstand der gut organisierten polnischen Pfadfinderbewegung und deren Untergrundpresse im Raum Krakau...
(Klicken Sie oben links im Menü auf "Texte" und lesen Sie weiter)

Volker Skierka: "Armin Mueller-Stahl - Begegnungen. Eine Biografie in Bildern."
216 Seiten gebunden, €39,90, erschienen im Oktober 2002 im Knesebeck Verlag München, ISBN 3-89660-139-3
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Essay Revolutionär von der traurigen Gestalt

Revolutionär von der traurigen Gestalt
Fidel Castros Abschied von der Macht: Die Götterdämmerung hat längst eingesetzt. Und was kommt dann?
 
© Volker Skierka
Der Tagesspiegel
5. August 2006


Auf dem Sterbelager diktiert der große Freiheitskämpfer eine bittere Erkenntnis in sein Testament: „Wer sich der Revolution verschreibt, pflügt das Meer“, sagt er und prophezeit: „Dieses Land wird unweigerlich in die Hände einer enthemmten Masse geraten, um dann an verkappte kleine Tyrannen aller Farben und Rassen zu fallen.“ Diese letzten Worte von Simón Bolívar (1783-1830), dem Befreier Südamerikas von der spanischen Krone, finden sich in dem Roman „Der General in seinem Labyrinth“ von Gabriel García Márquez. Bei der Lektüre drängt sich der Verdacht auf, dass der Autor aber nicht nur Simón Bolívar, sondern auch seinen langjährigen Freund, den kubanischen Staatschef Fidel Castro vor Augen hatte.

Der ist so schwer erkrankt, dass er Anfang der Woche vor einer bedrohlichen Darmoperation die Macht „vorübergehend“ an seinen Bruder Raúl übertrug. Höhepunkt eines in den letzten Jahren zunehmend sichtbareren gesundheitlichen Verfalls des Máximo Líder. Damit stellen sich die Fragen nach der Zukunft der Tropeninsel drängender denn je zuvor...

Und das wenige Tage vor dem 13. August, an dem Fidel Castro, die letzte überlebende Hass- und Heldenfigur des Kalten Krieges – nach offizieller kubanischer Zeitrechnung – 80 Jahre alt wird. Selbst seinen Gegnern nötigt er allein durch die Tatsache Respekt ab, dass keiner so lange politische Macht exekutiert wie er. Im Dezember dieses Jahres sind es 50 Jahre her, dass er mit seiner Motoryacht „Granma“ und 80 Mann an Bord aus dem mexikanischen Exil kommend im Osten Kubas landete und seinen zweijährigen, siegreichen Kampf gegen den Diktator von Washingtons Gnaden, Fulgencio Batista, aufnahm. Kein Herrscher, auch kein Stellvertreter Gottes auf Erden hat schließlich so viele amerikanische Präsidenten, kommunistische Staats- und Parteiführer, Demokraten und Potentaten und darüber hinaus derart viele Mordkomplotte überlebt – angeblich waren es mindestens 640 – wie der promovierte Jurist Fidel Castro.

Auch falls der zähe Castro dem Tod noch einmal eine Gnadenfrist abringen sollte – die Götterdämmerung hat längst eingesetzt. Freund und Feind beschäftigen sich seit geraumer Weile mehr mit dem Tod als mit dem Leben des scheinbar Unsterblichen. Und mit der Frage: Wie wird es weitergehen auf Kuba nach Fidel Castro, wer und was folgt auf ihn?

Doch vor der Zukunft liegt die Gegenwart, und in der herrschte Festtagsstimmung im Revolutionspalast von Havanna. Castros neuester Freund, Boliviens Präsident Evo Morales, ein Indio und ehemaliger Kokabauer, wollte seinem verehrten Mentor in Havanna einen Koka-Geburtstags-Kuchen backen lassen. Den habe sich Castro gewünscht, verriet Morales. Nun wird er bis zum Dezember warten müssen – so lange werden die Geburtstagsfeierlichkeiten verschoben.

Nicht auszuschließen, dass dann auch noch der venezolanische Kollege Hugo Chávez hereinschneit. Schließlich hat er den betagten Caudillo als seinen Vater im Geiste „zwangsadoptiert“ und sich öffentlich in der Rolle eines politischen Ziehsohnes von Castro eingerichtet. Nun spinnt er fleißig eine neue Internationale von US-Gegnern, fühlt sich Irans Ahmadinedschad verwandt und möchte Venezuela in die gleiche Rolle bringen wie dieser den Iran: als regionale Mittelmacht. Castro mit seinem reichen Erfahrungsschatz gibt gute Ratschläge und lässt sich Chavez Umarmungen gern gefallen. Seit Jahren schon sichert nämlich venezolanisches Erdöl den infolge der US-Wirtschaftsblockade Not leidenden Kubanern das Überleben. Freund Fidel dankt es, indem er diesem fast 50 000 Lehrer, Ärzte und Sicherheitsberater schickte. Über Chávez Leben wacht längst der kubanische Geheimdienst, der als einer der erfahrensten der Welt gilt und die Tricks der US-Kollegen besser kennt als diese selbst. Abgesehen davon, was Morales und Chávez für Castro bereithalten mögen, das schönste Geburtstagsgeschenk für den Jubilar ist der Linksruck und der wachsende Nationalismus, der sich in jüngster Zeit in Lateinamerika ausbreitet sowie die auffallend wachsenden Wirtschaftsverbindungen nach Asien, vor allem nach China, selbst nach Indien.

Unverhofft durfte der Patriarch im Herbst seiner Tage nicht nur eine ideelle Renaissance als Idol, Pop-Ikone und Hoffnungsträger der Armen, Entrechteten sowie der Opfer des Neoliberalismus erleben. Sein Land ist auch materieller Nutznießer seines Come-backs. Die neuen Freunde helfen Kuba, die US-Blockade zu umgehen. Washington und Brüssel werden sich etwas Neues einfallen lassen müssen, wenn sie ihre Interessen auf Kuba bewahren wollen –, auch wenn die Amerikaner immerhin inzwischen ihr eigenes Embargo umgehen und jährlich unter dem Label „Humanitäre Hilfeleistungen“ gegen rund 500 Millionen Dollar in bar Lebensmittel nach Kuba liefern. Die Beziehungen zum europäischen Kontinent sind indessen auf einem dramatischen Tiefpunkt. Das weltweite Messen mit zweierlei Maß in der Menschenrechtsfrage und der heftige Einsatz für einige CIA-beeinflusste Dissidenten, die auch seriösen kubanischen Regimekritikern wie Osvaldo Payá nicht geheuer sind, hat Europa in eine Abseitsposition manövriert.

Zu lange haben Europa und die USA die Tatsache ignoriert, dass Castros Reich nicht geschwächt, sondern gestärkt aus dem Zusammenbruch des Kommunismus in Osteuropa hervorgegangen ist und sich politisch wie ökonomisch emanzipiert hat. Noch nie in seiner Geschichte war Kuba so unabhängig wie in den vergangenen 15 Jahren. Die politische, ökonomische und militärische Herausforderung, die das Land unter Castro seit dem Abzug der Sowjets 1991 in einem Kraftakt bewältigte, macht deutlich, dass die Transition, die der Westen so ungeduldig einfordert, längst in Gange ist.

In geradezu beispielloser Weise hat sich Kuba aus dem Abwärtsstrudel frei gekämpft, in den es damals geraten war. Auf 34 Prozent belief sich der Einbruch des Bruttosozialproduktes. Seit 1995 verbucht die kubanische Wirtschaft jedoch wieder Steigerungsraten zwischen drei und sieben Prozent jährlich. Dass diese Umwälzung so glatt, ohne Unruhen oder gar einen Bürgerkrieg vonstatten ging, obwohl es Jahre des Hungers gab, das zeugt wohl auch von einer breiten, oder zumindest differenzierten Identifikation der Bevölkerung mit Castros Kuba.

Die Kubaner wissen, dass nicht alle „Segnungen“, die ihnen der „Castrismus“ beschert hat, schlecht sind. Im Bereich des Finanz- und Steuerwesens, der Bildungspolitik, der Alphabetisierung der Bevölkerung, der Gesundheitsversorgung, dem niedrigen Niveau an Korruption und dem hohen Maß an öffentlicher Sicherheit hat das Land einen Standard erreicht, der teilweise sogar die USA überflügelt und UNO-Statistiken zufolge Modellcharakter für die gesamte Dritte Welt haben könnte.

Damit rechtfertigen sogar Vertreter ausländischer Unternehmen ihr Engagement auf Kuba – selbst wenn sie wissen, dass dies alles auch nur um den hohen Preis eingeschränkter Menschenrechte und fehlender demokratischer Freiheiten gewährleistet wird. Immer noch beklagt Amnesty International auf Kuba rund 300 politische Gefangene – die Castro nicht nötig hätte. Vielleicht erlässt er zur Feier des Geburtstages eine Amnestie – und sei es nur, um US-Präsident Bush zu ärgern, der nebenan, auf dem Marinestützpunkt Guantánamo, völkerrechtswidrig rund 500 Menschen in Käfigen festhält, die noch weniger Rechte haben als Castros Häftlinge.

Aber auf die Frage: „Wie geht es auf Kuba weiter nach Castro?“, hat bisher immer nur einer eine Antwort gehabt, und das ist derjenige, um den es geht: Castro selbst. „Die Nachfolge ... wird nicht nur bereits vorbereitet, sie funktioniert schon seit geraumer Zeit“, verriet er schon Anfang 2000 in einem Gespräch mit einem UNESCO-Vertreter. „Zahlreiche bereits erfahrene junge Menschen und eine weniger umfangreiche Gruppe von Revolutionsveteranen, mit denen sie sich zutiefst identifizieren, sind diejenigen, in deren Händen das Leben des Landes liegt.“ Er hat stets wiederholt, dass laut Verfassung sein jüngerer Bruder, Verteidigungsminister Raúl Castro, ihm nachfolgen solle. „Wenn mir morgen etwas passiert, wird mit aller Sicherheit die Nationalversammlung zusammentreten und ihn wählen, da habe ich nicht den geringsten Zweifel“, sagte Castro erst kürzlich. Dann fügte Castro aber eine einschränkende Anmerkung hinterher: „Aber auch er kommt immer mehr in die Jahre, es ist inzwischen auch ein Generationenproblem.“ Wollte er damit die Möglichkeit andeuten, sein Bruder sei vielleicht doch zu alt, um nachzurücken und damit nur ein Übergangskandidat? Dabei darf man ihn nicht unterschätzen. Das „Time“-Magazine bezeichnete einst zutreffend Fidel Castro als das „Herz“, seinen Bruder Raúl als die „Faust“ der Revolution. In diesem Sinne hat er seit einem halben Jahrhundert mit eiserner Faust beider Macht abgesichert. Er hat nicht das Charisma, nicht das Redetalent und auch nicht die heldenhafte Statur seines älteren Bruders. Aber wenn es um Machterhaltung geht, ist er diesem ebenbürtig, wenn nicht sogar überlegen. Nur ist er eben auch schon 75.

Wer das Land daher langfristig in eine neue Zeitrechnung überführen soll, ist mithin reine Spekulation. Es spricht viel dafür, dass es zunächst - unter Raúl Castro - eine kollektive Führung gibt und Carlos Lage dazugehört, der 55-jährige Stellvertreter Castros im Ministerrat und Architekt jener Wirtschaftsreformen, welche Kuba nach dem Verschwinden der Sowjetunion das Überleben sicherten. Auch der 40-jährige Außenminister Felipe Pérez Roque ist ein Kandidat, vielleicht sogar der stärkste. Denn der ehrgeizige ehemalige Büroleiter Castros geriert sich als der stalinistische Lordsiegelbewahrer des „Fidelismus“. Ein „Hoffnungsträger“ könnte Ricardo Alarcón sein, der Parlamentspräsident, der als langjähriger Vertrauter Castros für die Kontakte zu Washington zuständig ist. Castro hat seit Jahrzehnten überdies kontinuierlich für eine Verjüngung des Apparates gesorgt, Veteranen aufs Altenteil gesetzt und jungen Nachwuchs in seine Umgebung befördert.

Wohin sollen diese neuen Generationen das Land führen? Er hat einmal auf die Frage, ob es nicht Zeit für eine pluralistische Gesellschaft sei, geantwortet: „Das sollen meine Nachfolger machen.“ In einem Interview mit „Le Monde diplomatique“ sagte er vor einigen Wochen: „Diese Revolution kann sich aus sich selbst heraus zerstören. Wenn wir nicht imstande sind, unsere Fehler zu korrigieren. Wenn wir nicht damit fortfahren, viele Fehler zu beheben. Die zahlreichen Diebstähle, die vielen Abweichungen und die vielen Möglichkeiten der Neureichen, sich zu bereichern.“ Die Botschaft dieser Aussage: Die Zukunftschance für Kuba liegt nicht in einer „Öffnung“ des Systems, sondern in seiner Abschottung. Castro wollte schon immer nicht mehr Markt, sondern weniger. Am liebsten gar keinen.

Damit entmutigte er stets all jene Kubaner, die auf ein baldiges Ende des kubanischen Spartanismus hoffen. Inzwischen sind mehr als drei Viertel der Bevölkerung nach der Revolution geboren, und die Mehrheit sehnt sich nach normalen Freiheiten. Das nicht mehr einzudämmende Ausmaß einer milliardenschweren Schattenwirtschaft auf praktisch allen Ebenen ist längst Beleg, dass das System nicht mehr so funktionieren kann wie bisher und alles Festhalten an überholten Prinzipien nicht mehr der Bevölkerung, sondern nur doch dem Altersstarrsinn ihres Patriarchen diente. Wie sehr er aber bis zum letzten Atemzug Herr der Lage zu bleiben und nirgendwo einzuknicken gedachte, hat Castro in den zurückliegenden Monaten und Wochen eindrucksvoll demonstriert: Durch plötzliches hartes Durchgreifen gegen Korruption, Schwarzhandel und Machtmissbrauch hat er kürzlich eine Säuberung des Staats- und Parteiapparates von ideologischen Abweichlern, Zweiflern und sonstigen unzuverlässigen Genossen eingeleitet.

Wenn überhaupt, dann wird und kann sich ein Wandel und eine politische Öffnung nur allmählich, nur innerhalb und nur mit der „Revolution“ anbahnen. Mit Raúl Castro oder auch ohne ihn. Im besten Fall wird es auf ein Geben und Nehmen hinauslaufen: Wirtschaftshilfe gegen schrittweise Liberalisierung von Teilen der Wirtschaft. Die Demokratisierung der Gesellschaft wird eher hinten anstehen müssen – wie in China. Vielleicht wird das ja auch allmählich Washington begreifen. Wohl kaum allerdings das Weiße Haus. Dort lautet die Gebrauchsanweisung für eine Kuba-Politik im Zweifel das Helms-Burton-Blockadegesetz. Laut dem darf das Embargo gegen Kuba erst aufgehoben werden, wenn sich dort eine „demokratisch gewählte“ Regierung „substanziell auf ein marktwirtschaftliches System zubewegt“ und eine „Übergangsregierung“ gebildet wurde, „die weder Fidel Castro noch Raúl Castro beinhaltet“.

Auf untergeordneter Ebene in Washington, die über Einfluss verfügt, scheint man weiter zu sein. In einem bereits 2002 erschienenen Aufsatz des Kuba-Experten Frank O. Mora aus Memphis/Tennessee über die künftige Rolle der kubanischen Streitkräfte in einem Kuba nach Castro, verrät der Autor Unglaubliches. Er schreibt – unter Berufung auf das Washingtoner Center for Defense Information (CDI), einem dem Pentagon zuarbeitenden militärpolitischen Think-Tank, dass es in der Vergangenheit in Havanna zu Zusammenkünften pensionierter amerikanischer Viersternegeneräle mit Angehörigen einer ähnlichen kubanischen Einrichtung und aktiven Offizieren der kubanischen Streitkräfte (FAR) gekommen sei. Neben der Erörterung von grenzüberschreitenden Problemen wie der Bekämpfung des Drogenhandels, des Terrorismus und Flüchtlingsfragen, sei es um den Aufbau eines Vertrauensverhältnisses für den Tag X gegangen.

Initiiert worden seien diese Treffen von Bruder Raúl. Sollte am Ende doch die Vernunft siegen, könnte plötzlich und unerwartet der lebenslange Traum Fidel Castros noch in Erfüllung gehen, als Erbe des kubanischen Freiheitskämpfers José Martí und des großen Bolívar würdevoll in die Geschichte einzugehen – und nicht als der tragische Held seines Lieblingsautors Cervantes, Don Quichote.

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Cicero
Februar 2010
Guantánamo schließen - jetzt erst recht
© Volker Skierka
Die Reise ins Jenseits der Demokratie führte mich im Januar 2004 mitten hinein in eine militärische Version der „Truman Show“, jener Filmsatire von Peter Weir, in der ein ahnungsloser und gutgläubiger Kleinbürger zum Opfer einer Heile-Welt-Fernsehshow wird. In meinem Fall war das Pentagon der Regisseur der „Show“, die freilich keine Satire war, sondern blutiger Ernst. Schauplatz war der US-Marinestützpunkt Guantanamo Bay auf Kuba [...]
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NEUE ZÜRCHER ZEITUNG
9./10. August 2008
Kuba wartet auf seine Zukunft
Keine Aufbruchstimmung trotz angekündigter Veränderungen
Von Volker Skierka
Seit Raúl Castro vor zwei Jahren von seinem Bruder Fidel die Macht übernahm, sind in Kuba manche Veränderungen angekündigt und eingeleitet worden. Das Hauptproblem liegt in der Landwirtschaft, die dringend angekurbelt werden muss. Obwohl Kritik offener ausgedrückt wird, ist in der Bevölkerung keine Aufbruchstimmung spürbar.

Kuba wartet. Auf den Überlandbus, der selten kommt. Auf den alten sowjetischen Lastwagen, der mit einigen Dutzend Mitfahrern auf der Ladefläche über Strassen voller Schlaglöcher rumpelt. Auf den ausländischen Touristen mit dem komfortablen Mietwagen, bei dem ein Einheimischer sogar umsonst mitfahren kann. Oder einfach nur auf die einspännige und bunt geschmückte Pferdekutsche, die gemütlich durch den Ort trabt und Eilige ausbremst. Fröhlich und freundlich, hoffnungsvoll und optimistisch, mitunter auch erschöpft, resigniert und erloschen wartet ein ganzes Volk mit scheinbar grenzenloser Geduld jeden Tag in langen Schlangen und dicken Menschentrauben an den Strassenrändern und Weggabelungen darauf, irgendwohin mitgenommen zu werden, zur Arbeit, zu Verwandten, in die nächste Stadt – oder in ein anderes Leben... [...]
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DER TAGESSPIEGEL
13. Dezember 2008
Die Freiheit des anderen
Exilkubaner gegen Kuba – ein Terrorkampf seit Jahrzehnten. Mit Barack Obama kommt nun auch die Hoffnung auf Besserung
Von Volker Skierka
Sie werden die „Osama bin Ladens des Westens“ genannt. Luis Posada Carriles und Orlando Bosch zählen zu den gefährlichsten Terroristen der Welt. Unter den Veteranen von ihnen mitbegründeter exilkubanischer Terrornetzwerke wie „Alpha 66“, „Omega 7“, „CORU“, „El Condor“ und „Comando L“ genießen die beiden einen zweifelhaften Helden- und Kultstatus. In jenen Kreisen gelten sie als „gute“ Terroristen, weil sie über Jahrzehnte von Florida und Mittelamerika aus – immer wieder auch als feste wie freie Mitarbeiter der CIA – das Kuba der Brüder Fidel und Raúl Castro und von deren Freunden bekriegt haben. In die Hunderte geht die Zahl der im letzten halben Jahrhundert von ihnen und ihren Gesinnungsgenossen in zahlreichen Ländern, aber auch innerhalb der USA verübten, verantworteten oder zugeschriebenen Bombenanschläge, Attentate und Sabotageakte mit Explosiv- und biologischen Kampfstoffen sowie die Anzahl der menschlichen Kollateralschäden an Toten, Verletzten und Invaliden. [...]
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DIE ZEIT - Online
19. Februar 2008
Modell Kuba
Die neue Führung nach der Ära Castro wird wahrscheinlich reformbereit sein. Seine Machtelite jedoch wird versuchen, ihre Pfründe zu wahren
Von Von Volker Skierka
Es ist, als wäre er gestorben. Kaum jemand in der Welt konnte sich vorstellen, dass die Ära Fidel Castro anders zu Grabe getragen würde als in einem Sarg. Nun aber fand dies in Form der schlichten Mitteilung statt, er gebe seine Staatsämter auf.
Es passt irgendwie zu ihm, dass er seinen Abgang so inszeniert, dass er ihn auch noch selbst erleben darf. Aber vor allem auch, weil er so noch bestimmen kann, wer ihm folgt. Und das ist aller Wahrscheinlichkeit nach sein Bruder Raúl, der als Erster Vizepräsident schon seit anderthalb Jahren die Amtsgeschäfte des kranken Máximo Líder kommissarisch wahrgenommen hat.
Wenn die 624 Abgeordneten der gerade neugewählten kubanischen Nationalversammlung wie geplant am Sonntag zusammentreten und den 31-köpfigen Staatsrat, mithin praktisch die künftige Staatsführung wählen, dann dürfte der jüngere Bruder der einzige Kandidat für die Nachfolge des Staatspräsidenten sein.
Spannend an dem Ritual wird sein, wie dieser Staatsrat sonst zusammengesetzt sein wird, wer den Ministerrat bildet. Wer also jene Leute sind, die das schwierige Erbe des großen Caudillo übernehmen... [...]
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Hamburger Abendblatt,
2. März 2007
Hamburg ist nicht der Kongo
Von Volker Skierka
Was unterscheidet Hamburg vom Kongo? Und was den kongolesischen Staatspräsidenten Generalmajor Joseph Kabila von dem Hamburger SPD-Kreisvorsitzenden und Major der Reserve Johannes Kahrs (übrigens tragen beide die gleichen Initialen J. K. im Namen)? Sehr viel. Deshalb lohnt der Vergleich. Im Kongo haben voriges Jahr Kahrs' Bundeswehr-Kameraden im Auftrag der Uno für einen recht ordentlichen Ablauf der Präsidentenwahl gesorgt. In Hamburg ist hingegen etwas passiert, was man bisher nur aus Ländern wie dem Kongo kannte: Erst hat der Kreisfürst und Bundestagsabgeordnete Kahrs - Mitglied des Männerbundes Wingolf sowie des Präsidiums des Förderkreises Deutsches Heer - einen Putsch gegen sein Parteioberhaupt Mathias Petersen inszeniert.
Dann, als das Opfer sich nicht so einfach meucheln ließ, half eine manipulierte Wahl nach. Deren Ausgang erfüllte schließlich das Ziel: Der Kopf ist ab... [...]
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Der Tagesspiegel
5. August 2006
Revolutionär von der traurigen Gestalt
Fidel Castros Abschied von der Macht: Die Götterdämmerung hat längst eingesetzt. Und was kommt dann?
© Volker Skierka
Auf dem Sterbelager diktiert der große Freiheitskämpfer eine bittere Erkenntnis in sein Testament: „Wer sich der Revolution verschreibt, pflügt das Meer“, sagt er und prophezeit: „Dieses Land wird unweigerlich in die Hände einer enthemmten Masse geraten, um dann an verkappte kleine Tyrannen aller Farben und Rassen zu fallen.“ Diese letzten Worte von Simón Bolívar (1783-1830), dem Befreier Südamerikas von der spanischen Krone, finden sich in dem Roman „Der General in seinem Labyrinth“ von Gabriel García Márquez. Bei der Lektüre drängt sich der Verdacht auf, dass der Autor aber nicht nur Simón Bolívar, sondern auch seinen langjährigen Freund, den kubanischen Staatschef Fidel Castro vor Augen hatte.

Der ist so schwer erkrankt, dass er Anfang der Woche vor einer bedrohlichen Darmoperation die Macht „vorübergehend“ an seinen Bruder Raúl übertrug. Höhepunkt eines in den letzten Jahren zunehmend sichtbareren gesundheitlichen Verfalls des Máximo Líder. Damit stellen sich die Fragen nach der Zukunft der Tropeninsel drängender denn je zuvor... [...]
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B26 Europa/Lateinamerika
Feb. 2006
Zeitschrift für Kultur, Wirtschaft, Politik/ Revista de Cultura, Economía, Política
Mit Castros Tod kann die Repression auf Kuba zunehmen
Interview mit Volker Skierka
Von Guillem Sans
(Para la version espagnola: click Menü / Texte / Archiv)

Auszug:

Wie sehen Sie die Zukunft des Landes nach dem Tod des Máximo Líder?
Ich bin sehr besorgt über die Aussichten. Die amerikanische Politik ist bekannt. Mit Bush hat sich das Verhältnis eher noch verschärft. Andererseits hat man einen kleinen Spalt im Helms-Burton-Gesetz geöffnet. Unter dem Label „humanitäre Hilfe” sind seit Jahren enorme Lebensmittellieferungen nach Kuba möglich. Es ist so, dass die Kubaner jedes Jahr mittlerweile für zwischen 400 und 500 Millionen Dollar Lebensmittel gegen Barzahlung in den USA einkaufen. Das ist das Resultat einer unermüdlichen Lobbyarbeit der – eher republikanisch orientierten – amerikanischen Landwirtschaft und Lebensmittelindustrie – zum Ärger der Europäer.

Was können europäische Diplomaten tun?
Die Beziehungen zu Europa sind praktisch komplett eingefroren. Es gibt weder ein amerikanisches noch ein bekanntes europäisches Konzept für das postcastristiche Kuba. Das einzige, was man von offizieller kubanischer Seite weiß, ist, dass Raúl Castro, der fünf Jahre jüngere Bruder, die Nachfolge antreten soll, und zwar nicht als Einzelherrscher, sondern als primus inter pares. Aber Fidel Castro greift neuerdings auch jenes Wirtschaftskonzept an, mit dem Kuba in den letzten zehn Jahren eigentlich ganz gut gefahren ist. So liegt jetzt alles wieder im Dunkeln.

Wie schätzen Sie den Strategiewechsel der Europäer ein?
Die Europäer haben ja den Versuch gemacht, und zwar ausgehend von Spanien, im vorigen Frühjahr die Frostperiode zu beenden, indem sie Lockerungen in den Beziehungen in Aussicht gestellt haben. Und als man nach einigen Vorsondierungen glaubte, jetzt käme man mit den Kubanern auf offizieller Ebene wieder ins Gespräch, hat Castro das ja brüsk unterbunden. Er hat sich sogar darüber lustig gemacht, die Regierung Zapateros in Spanien düpiert und gesagt, er brauche weder Europa noch die USA. Das mag für ihn gelten, aber wie soll es nach ihm für die Kubaner weitergehen? Er sollte froh sein, dass die Europäische Union sich um Kuba mehr zu sorgen scheint als die USA, die nur das Geschäft sehen.

Stillstand also...
…und Rückschritt: für das kubanische Volk eine desaströse Situation. ... [...]
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Der Tagesspiegel
27.02.2005
Guantánamo III
Stacheldraht im Kopf
In Guantánamo sitzen zurzeit 550 Häftlinge: ein rechtsfreier Raum, ein Desaster für die Demokratie. Und alle reden von Bushs Charme-Offensive
© Volker Skierka
Im Jahr 1874 meldete der Farmer J.F. Glidden aus Illinois eine Erfindung zum Patent an, welches die Tier- und später auch die Menschenhaltung revolutionieren sollte: den Stacheldraht. Seither erobert der mit spitzen Zacken versehene gezwirbelte Draht die Welt. Was ursprünglich dafür gedacht war, große Viehherden zusammenzuhalten, ist heute eine der effizientesten – und preiswertesten – Defensivwaffen der Menschheit.

Seine harmloseste Verwendung findet der Stacheldraht bei der Abwehr von Einbrechern, sein grausamster Einsatz spiegelt sich in den Bildern der Kriegsfotografie und denen der Konzentrationslagern der Nationalsozialisten – als Umzäunung von Gefangenenlagern und tödlichen Minenfeldern. Nach dem Zweiten Weltkrieg trennte er als Eiserner Vorhang Ideologien und Völker, in Sechzigern Polizisten von Demonstranten und bis heute weltweit Militärkasernen, staatliche Einrichtungen und Amtsträger vor verdächtigen Bürgern. Seit den Terroranschlägen vom 11. September hat es den Anschein, als werde der ganze Erdball allmählich eine Stacheldrahtkugel, der Reisefreiheit und den offenen Grenzen in der globalisierten Welt zum Trotz. Die fortschreitende Vernetzung der Bürger geht einher mit einem Verlust ihrer Bewegungsfreiheit... [...]
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DER TAGESSPIEGEL, Dritte Seite
26.01.2004
Guantánamo II
Wo endet das Recht?
Hunderte von „Terroristen“ sitzen in einem US-Lager weitab von der Welt – ein Besuch in Guantanamo Bay auf Kuba
© Volker Skierka
Die Farbe Orange. Seit dem 11. September 2001 steht sie in Amerika für den Verlust von Freiheit. Als Synonym für ein Leben in ständiger Bedrohung. Bei Terroralarm der Stufe „Code Orange“ droht überall Gefahr. Und Reisen in den Zeiten von „Code Orange“ bedeutet: Jeder ist verdächtig. Doch als der Autor an einem Januarmorgen im Marinestützpunkt Jacksonville in Florida sein Ticket mit der Nummer „VS206804PRC000“ in die Hand gedrückt bekommt, weiß er, dass er keine Gefahr für die nationale Sicherheit der Vereinigten Staaten darstellt. Schon vor Wochen musste sich sein Name auf eine Odyssee durch die Computer des Pentagon sowie der US-Sicherheits- und Geheimdienste begeben, ehe er die Erlaubnis erhielt, auf dem Militärflug BLM3 mitreisen zu dürfen. „Allein neun Tage dauerte es, bis Ihre FBI-Überprüfung vorlag“, wird ihm später jemand verraten. „Checked and cleared“, und „embedded“ in die von ihm unterschriebenen Verhaltensregeln der Public-Relations-Abteilung des US-Verteidigungsministeriums ist er schließlich unterwegs an ein für gewöhnliche Reisende verbotenes Ziel... [...]
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DER TAGESSPIEGEL
22.04.2002
Guantanamo I
Was tun die Yankees auf Kuba?
© Volker Skierka
Das knusprig-braune und fettglänzende Brathuhn, das der kubanische Kellner serviert, weckt nostalgische Erinnerungen an den legendären Gold-Broiler zu DDR-Zeiten. Um so mehr, weil der Blick vom Mittagstisch direkt auf eine Grenzanlage fällt, die dem „antifaschistischen Schutzwall“ ähnelt, welcher einst die Erde in ideologisch verfeindete Hälften dividierte. Minenfelder, Panzersperren, Stacheldrahtverhaue, Bunker, elektronische Sicherungsanlagen, Patrouillenwege, Wachtürme sind von dem über 400 Meter hoch gelegenen Aussichtspunkt „Los Malónes“ aus zu sehen. Dazwischen ein einsamer Grenzübergang, überragt von zwei Fahnenmasten. An dem diesseits flattert die kubanische Flagge, an jenem drüben die der Vereinigten Staaten von Amerika. „Drüben“, das ist der US-Flottenstützpunkt Guantánamo. Er ist 117,5 Quadratkilometer groß und liegt auf kubanischem Territorium. Uncle Sam, Fidel Castros Klassenfeind, hat ihn sich vor 99 Jahren angeeignet. [...]
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