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Castro - Graphic Novel / Comic
von Reinhard Kleist, mit einem Vorwort von Volker Skierka
280 Seiten, Hardcover, farbig, Deutschland: € 16,90 / Oesterreich: € 17,40 / Schweiz: sFr 30,90, Erscheinungsdatum: 1. Oktober 2010, Carlsen Verlag, ISBN 978-3-551-78965-5
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Marta Feuchtwanger Copyright Volker Skierka
Ein Don Quijote gegen Dummheit und Gewalt
Einstündiges Radio-Feature von Volker Skierka für NDR-Kultur aus Anlass des 50. Todestages am 21. Dezember 2008 und des 125. Geburtstages des deutsch-jüdischen Schriftstellers Lion Feuchtwanger am 7. Juli 2009 sowie ein Gespräch mit dem Schriftsteller und Literaturexperten Prof. Fritz J. Raddatz.

Der Freund und Weggefährte von Bertolt Brecht, Heinrich und Thomas Mann, Arnold Zweig sowie anderen literarischen Zeitgenossen zählte zu den ersten, den die Nationalsozialisten nach der Machtergreifung Hitlers ausbürgerten. 1933 zog der Verfasser historischer Romane wie „Jud Süß“, „Erfolg“, „Der jüdische Krieg“ und „Goya“ zunächst nach Sanary-sur-mer an der französischen Mittelmeerküste. 1940, nach dem Überfall Deutschlands auf Frankreich, mußte er er unter dramatischen Umständen in die USA fliehen. „Die Dummheit der Menschen ist weit und tief wie das Meer“, schrieb er 1933 in einem Brief an Zweig. Seine Arbeit widmete der linksbürgerliche Romancier dem – vergeblichen - Kampf der Vernunft gegen Dummheit und Gewalt. Volker Skierka, Journalist und Biograf Feuchtwangers, zeichnet dessen Leben anhand von Dokumenten, Interviews und – bislang unveröffentlichter - Tonbandaufnahmen zahlreicher Gespräche nach, die der Autor einst mit Feuchtwangers Witwe Marta und seiner Sekretärinnen Lola Sernau führte.
(Mehr unter Menüpunkten "Publikationen / Lion Feuchtwanger" sowie "Villa Aurora")

Konzentrationslager Birkenau (Auschwitz). - Text und Fotos: Volker Skierka
Weiße Flecken, dunkle Geschichte
Aus: Der Tagesspiegel, 20. Jan. 2006

80 Jugendliche, Deutsche und Polen, auf der Suche nach der Wahrheit, die die Nazis unterdrückt haben. Versuch einer Versöhnung

Alles ist wie in Watte gebettet. Der Schnee liegt hoch, die Bäume und der doppelte Stacheldrahtzaun sind weiß überpudert. In klirrender Kälte passieren die polnischen Germanistik-Studentinnen Kasia Król und Maria Mrówca das weit geöffnete Tor unter dem Schriftzug „Arbeit macht frei“. Es ist früh am Tag. Man ist allein im ehemaligen Menschen-Vernichtungslager Auschwitz und Birkenau. Stumm, in sich gekehrt und ziellos gehen die jungen Frauen durch die einsamen Lagerstraßen, stehen in einer der ehemaligen Gefangenen-Unterkünfte plötzlich vor einer 20 Meter langen Glaswand, hinter der zwei Tonnen Menschenhaar liegen. Es konnte wegen der Befreiung des KZs nicht mehr an die Textilindustrie geliefert werden.

Kasia, die große, schlanke Dunkelhaarige, ist 21 Jahre alt, Maria, etwas kleiner und blond, ist 23. Ihre Gesichter sind wie versteinert. Draußen sagt Kasia nur: „Wenn man daran denkt, dass viele der Täter und der Opfer in unserem Alter waren …“ Dann nimmt Maria den Faden auf und sagt: „Ich glaube, es ist wichtig für die Deutschen, dass Menschen anderer Nationen mit ihnen darüber sprechen.“
In dem massiven roten Backsteinbau mit der Nummer 24, wo das Archiv jenes Ortes untergebracht ist, haben Kasia und Maria mit drei Kommilitoninnen und einem Kommilitonen von der Universität des 60 Kilometer entfernten Krakau mit einem einzigartigen deutsch-polnischen Geschichtsprojekt begonnen.

Die Studenten forschten nach Lücken und Manipulationen in der seit dem Überfall Hitlers auf Polen 1939 gleichgeschalteten Lokalpresse. Diese „weißen Flecken“ in der offiziellen Berichterstattung, versuchten die Studenten 60 Jahre nach Kriegsende mit Wahrheiten zu füllen. „Hunderte von dicken Bänden, Tagebücher und Dokumente, liegen hier“, sagen sie. „Wir haben einfach einige herausgegriffen, darin geblättert und gelesen. Das war der Anfang.“
Herausgekommen ist dabei aber nicht eine neue Arbeit über den Massenmord von Auschwitz, sondern eine Untersuchung über ein nahezu unbekanntes Thema – über den damals weitverzweigten und oft tödlichen Widerstand der gut organisierten polnischen Pfadfinderbewegung und deren Untergrundpresse im Raum Krakau...
(Klicken Sie oben links im Menü auf "Texte" und lesen Sie weiter)

Volker Skierka: "Armin Mueller-Stahl - Begegnungen. Eine Biografie in Bildern."
216 Seiten gebunden, €39,90, erschienen im Oktober 2002 im Knesebeck Verlag München, ISBN 3-89660-139-3
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  E-Mail an Volker Skierka
 
TEXT Von Zürcher Glanz und Enge

Von Zürcher Glanz und Enge
 
In einem MERIAN-Gespräch debattieren der Komponist Rolf Liebermann und der Schauspieler Bruno Ganz über den Zustand der Kultur in ihrer Heimatstadt und die große Zeit des Schauspielhauses unter dem Einfluß der deutschen Emigration.
 
© Volker Skierka
Merian Nr. 1, S. 54 ff., Januar 1997


Moderation: Volker Skierka

Volker Skierka (S): Am 19. April 1941 fand im Schauspielhaus Zürich unter der Regie von Leopold Lindtberg die Uraufführung von Bertolt Brechts Stück "Mutter Courage" mit Therese Giehse in der Hauptrolle statt. Sie, Herr Professor Liebermann, waren damals 30 Jahre alt, Sie, Herr Ganz, waren genau einen Monat zuvor in Zürich geboren worden, als Brecht am 22. April 1941 die Sätze in sein Arbeitsjournal notierte: "Heute kommt ein Telegramm von der Direktion (des Schauspielhauses, d. Red.) und eines von Giehse, Lindtberg und Otto, dass die Premiere erfolgreich war. Es ist mutig, von diesem hauptsächlich von Emigranten gemachten Theater, jetzt etwas von mir aufzuführen. Keine skandinavische Bühne war mutig genug dazu. "Wie war es gekommen, daß sich das Schauspielhaus in Zürich, umgeben von Krieg und Nationalsozialismus, zur bedeutendsten europäischen Bühne entwickeln und sich über das Kriegsende hinaus als solche behaupten konnte?

Rolf Liebermann (L): 1933, zu Beginn der Emigration, kamen viele Autoren und Schauspieler zunächst einmal in die Schweiz, nach Zürich. Ich hab' den Brecht und andere getroffen. Viele gingen weiter, wie Brecht, weil sie Angst hatten, daß auch in der Schweiz etwas passieren könnte. Unter den ersten, die kamen, waren Gustav Hartung, der von den Nationalsozialisten vertriebene Generalintendant der Darmstädter Theater, und sein Dramaturg Kurt Hirschfeld. Beide waren geholt worden von Ferdinand Rieser ...

Bruno Ganz (G):...dem Weinhändler, der das Theater aufgebaut hat...?

L: ... Ja. Und Frau Rieser war übrigens die Schwester von Franz Werfel! Der Rieser hatte sehr viel Geld. Dem gehörte seit den zwanziger Jahren das Schauspielhaus. Und nach Hartung und Hirschfeld kamen nach und nach alle erstklassigen Leute aus Deutschland. Hartung und Hirschfeld haben zusammen alles möglich gemacht, um Wolfgang Langhoff über die Grenze zu holen. Er wurde dann eine Zeitlang bei Rieser zu Hause vor der schweizerischen Fremdenpolizei versteckt. Es kamen Albert Bassermann, Erwin Kalser, Leonard Steckel, Leopold Lindtberg, Kurt Horwitz, Teo Otto -lauter große Namen, die heute zum Teilvergessen sind...

G:...die Giehse...!

L: Die Giehse - natürlich. Die kam mit Erika Mann. Die haben ja die "Pfeffermühle" gegründet. Nach 1938 kam die Wiener Emigration dazu. Die Schauspieler bekamen von Rieser 300 Franken im Monat. Langsam hat sich dann auch das Verhältnis zur Fremdenpolizeieingespielt. Und wir hatten eine große Hilfe. Diese Hilfe war - der Name soll gelobt werden - Herr Dr. Mario Gridazzi, der Chef des Arbeitsamtes von Zürich. Der mußte nämlich die Arbeitsbewilligungen geben. Das war lebenswichtig, denn nur wenn man eine Arbeitsbewilligung hatte, durfte man bleiben. Gridazzi war fabelhaft, der hat wahnsinnig geholfen.

G: Der war zuständig nicht nur für Künstler, sondern überhaupt für Ausländer-Arbeitsbewilligungen?

L: Ja. Mit dem Einsetzen der Emigration mußte außerdem jeder, der sich in der Schweiz niederlassen wollte, Schweizerdeutsch lernen...

G: Werkarm denn das?

L: Es gab damals einen Lehrer für unsere Schauspieler, einen Professor, der denen Schwyzerdütsch beibrachte. Da gab's sogar eine Prüfungskommission. Die gingen da alle hin. Der Langhoff, der Kalser, der Steckel, jeder. Der Lindtberg sprach perfekt Schwyzerdütsch. Tadellos. Und mancher lernte es nie, mancher lernte es wenigstens gut verstehen.

S: Wie haben sich die Emigranten denn untereinander vertragen in jener Zeit? Man weiß ja, wie schwierig es in Paris war und später in Los Angeles.

L: Die hatten kaum Zeit für etwas anderes als Theater. Die haben soviel arbeiten müssen. Weil sie so schlecht bezahlt waren und damit das Haus sich finanziert, hatten sie fast jede Woche eine Premiere. Wahnsinnig! Sie haben Tag und Nachtgearbeitet. Und es waren wunderbare Aufführungen, die unter diesem Druck zustande kamen, dem Existenzdruck und der Gefahr, jeden Tag entlassen zu werden vom Rieser, wenn man es nicht schaffte.

G: Das hätte ihnen geblüht? So hart war das?

L: Das hätte ihnen geblüht. Rieser war ein Geschäftsmann, und er bekam keine Subventionen.

G: Ich dachte, die Emigranten hätten einen solchen Bonus gehabt...

L: Der einzige Bonus, den die hatten, war der wunderbare Gridazzi, der sie nicht ausgewiesen hat. Das maß man immer wieder sagen. Und den Hirschfeld, der natürlich alle kannte und allen geholfen hat, wo er konnte.

S: Was haben Sie in jener Zeit gemacht?

L: Ich war eine Weile in Wien. 1938, nach dem "Anschluß", ging ich zurück in die Schweiz, wurde Musiker beim schweizerischen Landesausstellungstheater. Da spielten wir Stücke vom Vater der Maria Schell, der war Dichter. Ein Stück hieß "Der Tittitolgg".

G: Was ist ein "Tittitolgg" ?

L: Ein "Tittitolgg" ist eine Puppe, die sich ein Senn aus Stroh macht, wenn er sechs Monate mit den Kühen allein auf dem Berge ist. Und wenn er dieser Puppe Alkohol einflößt, wird sie lebendig. Das ist eine alte Urner Sage.

G: Ogottogott!

L: Und dann bin ich damals mit einem Menschen, der alte Filme besaß, auf Tournee gegangen. Der hat den Sprecher gegeben und ich den Klavierspieler. Und ich habe Kabarett gemacht – für das "Cornichon" in Zürich komponiert. Immer wieder hat die deutsche Botschaft in Bern interveniert gegen das "Cornichon" oder das Schauspielhaus.

S: Was passierte dann?

L: Dann haben wir uns gewehrt. Wenn Zensur drohte, sind Emil Oprecht, der Präsident des Verwaltungsrates, und Oskar Wälterlin, der Direktor vom Schauspielhaus, zum General gefahren. Der General war der Oberkommandierende der Schweizer Armee während des Krieges. Er wurde entsprechend der Verfassung von der Bundesversammlung gewählt und hatte mehr Rechte als der Schweizer Bundesrat. Unser Oberkommandierender hieß Henri Guisan. Und der hat uns immer den Rücken gestärkt. Wenn der Wälterlin gesagt hat, wir haben wieder Schwierigkeiten, die deutsche Botschaft hat schon wieder interveniert, und Bern hat wieder Schiß, hat der General gesagt: "Ja ja! Macht nur weiter, macht nur weiter!" Und hat den Begriff von der "geistigen Landesverteidigung" erfunden. Unter dem Dach der "geistigen Landesverteidigung" war dann alles möglich.

G: Sind Sie sicher, daß Sie das nicht im Nachhinein glorifizieren?

L: Nein, nein. Ich glorifizier' gar nicht. Das ist eine Tatsache. Der Guisan war halt kein Nazi.

G: Andererseits ist in der Zeit - und das muß man auch sagen - verfügt worden, daß man in der Schweiz die Juden kennzeichnete, indem ein "J" in die Pässe gestempelt wurde. Das hat die Schweiz verlangt.

L: Die Deutschen haben das verlangt. Das war ...

G: ... Druck aus Deutschland!

L: Das galt für Emigranten. Es galt nicht für Schweizer.

G: Nein, nicht für Schweizer. Aber um das mit den jüdischen Menschen, die aus Deutschland oder aus anderen Ländern hinein wollten, "leichter handhaben" zu können, hat die Schweiz dieses "J" verfügt.

L: Richtig!

G: Und das war auch unter Guisan.

L: Natürlich. Und es sind auch diese Züge jede Nacht durch den Gotthard gerollt, die zwischen den Deutschen und den Italienern die Verbindung hergestellt haben, wie Sie wissen. Plombiert in Basel und wieder aufgemacht in Chiasso. Das passierte alles unter dem Druck der Ernährungssituation.
Der Schweiz stand ja der französische Hafen Sète im Mittelmeer zur Verfügung. Von dort wurden die Lebensmittel in die Schweiz im-
portiert. Und um die Erlaubnis zu bekommen, durch die deutsche Besatzungszone in Frankreich diese Transporte abzuwickeln, mußten dann Kompromisse mit den Deutschen gemacht werden. Ob diese Kompromisse wirklich gemacht werden mußten, weiß ich nicht, aber sie wurden. Es gibt zweifellos schwarze Flecken auf der Schweizer Geschichte. Wir mußten ja auch verdunkeln auf Befehl der Deutschen. Weil wir eine Art Wegweiser für Flugzeuge waren, ein Lichtermeer inmitten von Europa. Wenn man die alliierten Flugzeuge kommen hörte, hat man trotzdem schnell die schwarzen Vorhänge weggezogen...

S: Es gab in jener Zeit aber auch in der Schweiz Nazi-Anhänger, Sympathisanten. Wie war Zürich? In welchem politischen Klima bewegten sich die Emigranten, war es liberaler ?

G: Ich glaube, im großen und ganzen war die Schweiz - und laßt uns das mal wirklich festhalten - nicht faschistisch. Es gab solche Leute, gewiß. Das hat wahrscheinlich mit Kapitalverflechtungen usw. zu tun gehabt und einfach auch mit Leuten, die Chaos mochten und die sich offen auf die Seite der Nazis geschlagen haben, ohne genau zu wissen, was das wirklich bedeutet. Es gab wahrscheinlich in der deutschen Schweiz eine große Gruppe von Leuten, die bereit war, mit den Nazis zu kollaborieren. Aber ich möchte auch sagen, daß die Schweizer doch im großen und ganzen ein Volk waren, das sich gegen den Nationalsozialismus gewehrt hat.

L: Gibt es das eine Zürich? Hat das ein Gesicht? Vielleicht. Es gibt so viele Gruppen in Zürich. Die Emigranten stießen zunächst auf ein überhaupt nicht vorhandenes, undefinierbares Klima. Später habe ich aber Momente erlebt, wo es zu einer wirklichen Identifikation der Zürcher mit dem Schauspielhaus kam. Und aus der Angst heraus, daß etwas passieren könnte, daß man sie ausweisen würde, hielten alle am Schauspielhaus zusammen wie Pech und Schwefel. Alle lebten dauernd unter diesem Druck, um Arbeitsbewilligungen zu ersuchen, die Aufenthaltsbewilligung verlängern zu lassen und so weiter. Und dieser Druck hat das Ensemble und auch das Publikum zusammengeschweißt. Denn das Publikum war in der gleichen Opposition, gegen Deutschland wie die Schauspieler. Und diese Identität auf der politischen und auch der gefühlsmäßigen Ebene...

G: Das ist erstaunlich. Das ist spannend, was Sie sagen. D aß Leute, die existentiell unter Druck standen, für die anderen eine Art kultureller Identität stifteten.

L: Die war vorhanden. Das Schauspielhaus war eigentlich das geistige Zentrum der deutschen Schweiz und hat in seiner Funktion eine riesige Ausstrahlung gehabt auf die Bürger. Meine Erfahrung war eine komplette Identifikation von Zürich mit dieser Periode erstklassiger Darbietungen im Zusammenhang mit Emigrantentheater. Es gab Momente im Schauspielhaus Zürich, die kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen. Wie beispielsweise den, wo im "Don Carlos" gesagt wird: "Gebt Gedankenfreiheit" und das ganze Publikum aufstand und die schweizerische Nationalhymne sang.

G: Also überspitzt könnte man sagen, daß diese Emigranten eine Art Identität der Schweizer gestiftet haben...

L: Absolut, absolut! Jedenfalls einen...

G:... Widerstand, ein allgemeines Gefühl von Dagegensein gegen die Deutschen.

L: Ja, das ist vollkommen richtig. Aber man muß das noch weiter denken. Wer hat denn den Max Frisch, mit dem ich zur Schule ging, und den Dürrenmatt überhaupt zum Schreiben gebracht? Das Schauspielhaus Zürich, der Hirschi und der Wälterlin haben die zu Dichtern gemacht. Auch, weil ja zu der Zeit gar nichts mehr reinkam von Deutschland. Und so hob sich dann plötzlich ein schweizerisches Minderwertigkeitsgefühl auf.

G: Ah ja! Das Minderwertigkeitsgefühl!

L: Ein Schweizer Minderwertigkeitskomplex verschwand, und von Frisch bis Dürrenmatt kamen die Stücke. Eins nach dem anderen. Und dann kam eben alles, was im europäischen Ausland nicht aufgeführt wurde. Es kamen Uraufführungen von Thornton Wilders "Our little town ", Brechts "Puntila", ,Antigone", "Mutter Courage". Alles. Die Uraufführung von Jean Giraudoux' "La folle de Chaillot", die ich noch komponiert habe. Ich habe enorm viel gelernt in Zürich. Auch Theater. Das war eine große Zeit für mich zwischen 1933 und 1957, bis ich dann nach Hamburg ging. Meine ganze Erziehung, auch meine politische, kommt eigentlich von Leuten, die aus Deutschland weggegangen sind, und von deutschen Schriften, die in Deutschland verboten waren, und aus Werken, die in Deutschland verboten waren. Dies war in meinem Leben eine unglaublich fruchtbare und wertvolle Periode gewesen. Ich hatte Kontakt nicht nur mit erstklassigen Schauspielern, erstklassigen Stücken, wunderbaren Musikern. Es war eine merkwürdige Welt von Berlin und Wien gemischt. Diese Mischung hat sich dann mit der Zürcher Gesellschaft verbunden.

S: Und als der Krieg vorbei war, wie ging es da für Sie weiter, Herr Liebermann?

L: Fünfundvierzig kam ein Anruf von meinem Freund Hermann Scherchen, dem Dirigenten, in dem er mitteilte, daß er die Leitung des Orchesters von Radio Beromünster übernähme und wollte, daß ich als Tonmeister für ihn arbeiten solle. Unser damaliger Direktor von Radio Zürich empfing
mich zu Beginn meiner Tätigkeit mit den Worten: "Herr Liebermann, Sie sind der einzige Jude in der Schweizerischen Rundspruchgesellschaft. Das gibt Ihnen eine besondere Verantwortung." In dem Moment, als er das gesagt hatte, konnte man entweder gleich wieder seinen Hut nehmen oder versuchen, das zu machen, was man mußte. Und mir war der Scherchen wichtiger als der Direktor. Aber dieses war für mich ein nicht auszulöschendes Erlebnis mit Zürich. Bis 1950 war ich Tonmeister und ging immer nachmittags nach Hause zum Komponieren. Das war eine Zeit voller wunderbarer Geschichten. Wir hatten in diesen Jahren die gesamte Elite der deutschen Dirigenten, die in Deutschland nichts mehr verdienen konnte. Ich hatte sie alle: mindestens zweimal im Monat Klemperer, Bruno Walter. Für ganze 500 Franken im Sonntagmorgenkonzert. Dann mußte Scherchen gehen, wegen einer Rede, die er in Zürich gehalten hat über die Wunder des Sozialismus, von der ich ihm noch abgeraten hatte. Dann hab' ich seinen Job übernommen und blieb, bis man mich 1957 nach Hamburg holte.

S: Hat man nicht versucht, Sie in Zürich zu behalten?

L: Dreimal hat man mir die Zürcher Oper angeboten, und ich war immer bereit dazu. Und jedesmal wollte man mich dann offensichtlich doch nicht haben. Beim dritten Mal war sogar auch mit dem Stadtpräsidenten alles geklärt. Dann fuhr ich wieder weg, man wollte sich melden. Und ich habe bis heute nichts mehr gehört. Nicht mal ein "Nein". Nichts. Bis heute. Meinen Sie, das war mein Glück?

G: Ja, das denk' ich.

S: Warum? Wäre es nicht ein Glück für Sie und Zürich gewesen, wenn Sie, der die Hamburger und Pariser Oper groß gemacht haben, dies auch mit der Zürcher Oper hätten tun können?

L: Ich glaube nicht. Zürich ist zu klein.

G: Es ist zu eng.

L: Max Frisch ist ja auch weggegangen.

G: Die meisten Leute, wenn sie einmal weggegangen sind, bleiben weg. Es sei denn, sie werden alt und kommen dann aus anderen Gründen zurück.

L: Solange Hirschfeld lebte, ging es gut. Bis 1964.

S: Max Frisch sagte in seiner Trauerrede: Was das Zürcher Schauspielhaus zusammengehalten hat, auch als die Schweiz nicht mehr ein Unterstand für Flüchtlinge war, das war Kurt Hirschfeld ...

G: Aber es gibt in der Schweiz keinerlei Gedenkstätte an Hirschfeld. Nicht mal eine Tafel an einem Haus.

L: Es gibt gar nichts. Es gibt auch nichts über Wälterlin, der so wichtig war damals als Basler. Der als Basler diesen ganzen Emigrantenzirkus abgedeckt hat. Und der konnte sehr helfen und hat enorm geholfen.

S: In der Nach-Hirschfeld-Zeit scheint es kaum noch künstlerische Debatten gegeben zu haben. Es ging offenkundig nur noch um pekuniäre Angelegenheiten. 1967 brach dann der" Zürcher Literaturstreit" aus, provoziert durch die Behauptung, in den neueren Stücken wimmele es von Psychopathen, gemeingefährlichen Existenzen, Scheußlichkeiten großen Stils und ausgeklügelten Perfidien. Herr Ganz, Sie kamen 1969 mit der Truppe um Peter Stein ans Schauspielhaus Zürich. Sie waren aus Bremen vertrieben worden, und nach nur wenigen Monaten wurden Sie alle auch hier gefeuert. Sie haben ja Ihre eigene Geschichte mit Zürich erlebt...

G: Na ja, ich tendiere dazu, das nicht überzubewerten. Das war ganz simpel. Irgendwo hatten die auch recht. Wir waren ja auch nicht gut. Wir haben alles falsch gemacht.

L: In Bremen wart ihr sehr gut.

G: Ja. Aber in Zürich waren wir nicht so gut. Wir Schauspieler wären schon gut gewesen, aber wir waren ohne Führung. Der Direktor Peter Löffler war ein Mann, der damals aufbrechen wollte, weil er kapiert hatte, daß in jenen Jahren rundherum um die Schweiz sich andere Sachen abspielten. Er hat das schon richtig veranstaltet, aber ich glaube, er hat nicht eingeschätzt, wie groß der Widerstand sein würde, sowohl von innen, von den Schauspielern her, als auch von der Gesellschaft - oder sagen wir mal, von den Theaterbesuchern. Es spielte sich für mich vollkommen zufällig während der Premiere ab, "Early Morning" von Bond. Wir hatten noch keine zehn Minuten gespielt, und da stand plötzlich jemand auf und sagte: "Doktor Löffler, wann gibt es hier wieder ansprechendes Theater?" Man kann sich ja vorstellen, wenn jemand mit so einem Begriff operiert, wo der herkommt, was das bedeutet, und daß er keineswegs zukunftsweisende Dinge meint, wenn er sagt "ansprechendes Theater". Aber das hat mich nicht so geschockt. Wir waren ja vom Publikum einigen Kummer gewohnt. Was mich sehr verletzt hat, war, daß sich ältere Kollegen von uns so provoziert fühlten. Und zwar tolle Leute wie Wolfgang Reichmann. Die haben uns bei der Premiere verraten. Die haben bis dahin gewartet und mitgespielt und ausgerechnet bei der Premiere, als sie gemerkt haben, das Publikum ist auf ihrer Seite, nicht auf unserer, da haben sie dem Publikum klargemacht, daß sie auch gegen uns sind. Ich nenne bewußt diesen Namen Reichmann, weil er ein großartiger Schauspieler war. Und das war bitter. Die anderen will ich nicht nennen, denn die fand ich nicht so toll. Während der sechs Wochen Proben haben sie einen angeguckt, aber nie etwas gesagt. Aber dann sich verbündet mit dem Publikum. Verrat. Einfach offener, brutaler Verrat.

L: Ich war sehr stolz auf meine Vaterstadt Zürich, die euch engagiert hat. Ich sagte noch:" Da ist ein Wunder passiert. Daß diese Spießer sich die auf den Hals holen!" Das dauerte aber auch nicht lang, bis die Spießer es gemerkt haben.

G: In der Neuen Zürcher Zeitung hieß es damals: "Wehret den Anfängen!" Und es hieß: "Diese ganzen Linken, die aus Deutschland gekommen waren und Zürich versauen..." Nach einem halben Jahr hieß es dann: "Die müssen raus!" Und dann haben sie uns tatsächlich entlassen. Mir hat es weh getan. Aber irgendwo fand ich es dann trotzdem wieder gut, daß die Schweizer nach sechs Monaten - es war ja noch nicht einmal der Vertrag zu Ende - gesagt haben:Raus!

L: Aber das war die achtundsechziger Zeit. Man darf es nicht vergessen. Die spürten die Gefahr.

G: In Zürich hatten die Leute einen solchen Horror davor, daß da an der Bühne irgend etwas passieren könnte, das nichts mit ihrer Ordnungsvorstellung zu tun hat.

L: Es ist immer so gewesen, daß unsere kulturelle Identität von außen her geschaffen wurde. Das waren ja meine Erfahrungen im Zusammenhang mit den Emigranten.

G: Sie haben vollkommen recht. Unsere kulturelle Identität wird von außen geschaffen. Unsere Wurzeln sind eben nicht nur bei Gottfried Keller zu finden - um es mal lieb zu sagen - es ist dann auch schon Goethe. Einer bestimmten Anforderung, einer bestimmten Vorstellung von Niveau würden wir nicht gerecht werden können. Wir sind zu klein. Die Schweiz hat ein grundsätzlich anderes Verhältnis zur Kultur, als es Deutschland hat. Mit Kabarett und mit Grafik und solchen tradierten Feldern identifizieren sie sich leicht. In dem Moment, wo es aber um komplizierte Sachen geht, um intellektuelle Auseinandersetzungen, sind sie sehr zurückhaltend und finden, daß das weit hinter jeder Ökonomie rangiert. Das ist anders als in Deutschland. Bei Kultur, sofern sie sich in einer Zone wirklicher geistiger Auseinandersetzung befindet, ist - zumindest was die Deutsch-Schweiz betrifft - man sehr zurückhaltend.

L: Ich kann mich dem nur anschließen. Während der Zeit des Emigrantentheaters gab es diese Gemeinsamkeit, die aus der Angst vor Hitler entstanden war. Die oben und die unten hatten Angst vor Hitler, und dadurch verbanden sich Publikum und Bühne. Und diese Einheit hatte sich erhalten, auch als Hitler weg war. Aus Freundschaft und Beziehungen heraus. Und dann ging sie langsam mit dem Tod von Hirschfeld zu Ende. Und dann kam ein Experiment, das für die Zürcher viel zu früh stattfand und vor dem sie Angst hatten. Und von da an wurde es einfach uninteressant.

G: Ich höre immer, es sei langweilig.

L: Ich muß jetzt eine ganz dumme Formulierung benutzen, aber ich hab' keine andere: Es gibt keine Schweizer Dramaturgie. Weder in der Musik noch im Theater. Es gibt nichts Schweizerisches daran. Entweder es ist ein zusammengewürfeltes Orchester, oder es ist ein zusammengewürfeltes Ensemble. Es gibt kein geistiges Dach, gibt keine schweizerische Dramaturgie, also keine zürcherische. Das ist immer das Identitätsproblem. Es hat niemand eine Vorstellung von einer kulturellen Aktivität, die unsere Heimat, unsere Stadt, unsere Gedanken, unsere Gefühle ausdrücken würde, außer ein paar Dichter wie Max Frisch.

G: Allmählich kommt mir dieser Zustand für dieses Land richtig vor. Daß es an größeren geistigen Auseinandersetzungen gar nicht interessiert sein kann. Es muß ja auch nicht sein...

L: Nein, es muß nicht sein, das ist vollkommen richtig.

G: Man kann sehr gut leben ohne dieses Zeug...

L: Man muß nur weggehen.

G: Wir können ja auch weggehen. Für uns ist es leicht. Man kann aber auch gut in der Schweiz leben, ohne daß man unbedingt die neueste Musik, die in Europa geschrieben wird, hören oder neue Stücke sehen muß. Ich frage mich nur, warum wollen das die Leute in Paris sehen, in Berlin, in Deutschland? Warum wollen die ihr Zeitalter auch verstehen über neue kulturelle Hervorbringungen, und wieso kann man in der Schweiz das alles ignorieren? Inzwischen begnüge ich mich damit zu sagen, daß wir eine Bevölkerung von sieben Millionen sind. Und das mag wohl auch die Enge abstecken.

L: Es stimmt schon. Aber es stimmt auch wieder nicht - weil es nämlich Basel gibt. Die Stadt ist kleiner als Zürich. Und da gibt es diese kulturelle Identität. Bei der Musik und auch bei der bildenden Kunst. In Basel gibt es eine Verbindung zwischen der Universität, den Künstlern und der Gesellschaft. In Zürich gibt es das alles nicht. Die Universität ist isoliert, die Kunst ist isoliert, das Golfspielen ist isoliert.

G: Ich glaube, in Basel ist die ungeheure Macht der Chemieindustrie in der Kultur nicht so spürbar wie die Macht der Zürcher Banken in der Tonhalle, im Schauspielhaus, in der Oper. Ich weiß natürlich, daß nun jeder kommen und mir aufzählen kann, was in Zürich alles passiert an großen Events. Das gibt es ja auch alles. Nur, was hat das mit der Seele der Bewohner von Zürich zu tun? Es ist ganz schwer, objektiv zu sein, weil es alles übers Herz geht.

L: Ja. Man kann natürlich auch weitergehen und sagen: Die Franzosen haben begriffen, was sie machen müssen. Die haben alle bedeutenden Künstler sofort nationalisiert und sie behalten. Und so wurde Picasso ein Franzose und Dalí auch. Jeder Berühmte wird sofort irgendwie ein Franzose. Aber das Problem ist nicht nur das Publikum. Bei uns gibt es keine politische Persönlichkeit, die sich darum kümmert, die es interessiert, welchen Stellenwert Kunst in einer Stadt repräsentiert. Hier geht es darum: Was kostet es? Und was bringt es ein? Der Direktor der Tonhalle hat mir kürzlich gesagt, man könne es sich nicht leisten, ein modernes Stück zu spielen, weil man die Einnahmen brauche. Die Zürcher geben ihrem Tonhalle-Orchester - von dem sie behaupten, das sei das erste Orchester in der Schweiz - eine Subvention, die nicht einmal genügt, um die Musiker zu bezahlen. Alles übrige sind geschnorrte Gelder.

G: Ich kann Ihnen an einem kleinen Beispiel aufzeigen, wie anders es in Deutschland ist: Daß ein Haus wie die Münchner Kammerspiele "Ithaka" von Botho Strauß spielt, wäre in der Schweiz nahezu ausgeschlossen. Die Verpflichtung eines Landes, ein solches Stück von einem eigenen Autor zu spielen, ist in Deutschland eine Selbstverständlichkeit. Und die gibt es in der Schweiz nicht mehr. Das ist der ganz große Unterschied.

L: Es gibt ein treffendes Gedicht - ich glaube von Werner Wollenberger -gesungen von Stephanie Glaser, das ich vertont habe. Der Text war ganz kurz. Ich gebe mal die erste Strophe: "Hingerem Bärgli, schtill verboorge, sitzed mir so schtill und froh. Und mir wär' nid ums Verwoorge hingerem Bärgli füre cho." - Hinterm Berglein, still verborgen, sitzen wir so still und froh. Und wir wollen auf den Tod hinterm Berg nicht kommen vor.

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Hamburg ist nicht der Kongo
Von Volker Skierka
Was unterscheidet Hamburg vom Kongo? Und was den kongolesischen Staatspräsidenten Generalmajor Joseph Kabila von dem Hamburger SPD-Kreisvorsitzenden und Major der Reserve Johannes Kahrs (übrigens tragen beide die gleichen Initialen J. K. im Namen)? Sehr viel. Deshalb lohnt der Vergleich. Im Kongo haben voriges Jahr Kahrs' Bundeswehr-Kameraden im Auftrag der Uno für einen recht ordentlichen Ablauf der Präsidentenwahl gesorgt. In Hamburg ist hingegen etwas passiert, was man bisher nur aus Ländern wie dem Kongo kannte: Erst hat der Kreisfürst und Bundestagsabgeordnete Kahrs - Mitglied des Männerbundes Wingolf sowie des Präsidiums des Förderkreises Deutsches Heer - einen Putsch gegen sein Parteioberhaupt Mathias Petersen inszeniert.
Dann, als das Opfer sich nicht so einfach meucheln ließ, half eine manipulierte Wahl nach. Deren Ausgang erfüllte schließlich das Ziel: Der Kopf ist ab... [...]
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Der Tagesspiegel
5. August 2006
Revolutionär von der traurigen Gestalt
Fidel Castros Abschied von der Macht: Die Götterdämmerung hat längst eingesetzt. Und was kommt dann?
© Volker Skierka
Auf dem Sterbelager diktiert der große Freiheitskämpfer eine bittere Erkenntnis in sein Testament: „Wer sich der Revolution verschreibt, pflügt das Meer“, sagt er und prophezeit: „Dieses Land wird unweigerlich in die Hände einer enthemmten Masse geraten, um dann an verkappte kleine Tyrannen aller Farben und Rassen zu fallen.“ Diese letzten Worte von Simón Bolívar (1783-1830), dem Befreier Südamerikas von der spanischen Krone, finden sich in dem Roman „Der General in seinem Labyrinth“ von Gabriel García Márquez. Bei der Lektüre drängt sich der Verdacht auf, dass der Autor aber nicht nur Simón Bolívar, sondern auch seinen langjährigen Freund, den kubanischen Staatschef Fidel Castro vor Augen hatte.

Der ist so schwer erkrankt, dass er Anfang der Woche vor einer bedrohlichen Darmoperation die Macht „vorübergehend“ an seinen Bruder Raúl übertrug. Höhepunkt eines in den letzten Jahren zunehmend sichtbareren gesundheitlichen Verfalls des Máximo Líder. Damit stellen sich die Fragen nach der Zukunft der Tropeninsel drängender denn je zuvor... [...]
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B26 Europa/Lateinamerika
Feb. 2006
Zeitschrift für Kultur, Wirtschaft, Politik/ Revista de Cultura, Economía, Política
Mit Castros Tod kann die Repression auf Kuba zunehmen
Interview mit Volker Skierka
Von Guillem Sans
(Para la version espagnola: click Menü / Texte / Archiv)

Auszug:

Wie sehen Sie die Zukunft des Landes nach dem Tod des Máximo Líder?
Ich bin sehr besorgt über die Aussichten. Die amerikanische Politik ist bekannt. Mit Bush hat sich das Verhältnis eher noch verschärft. Andererseits hat man einen kleinen Spalt im Helms-Burton-Gesetz geöffnet. Unter dem Label „humanitäre Hilfe” sind seit Jahren enorme Lebensmittellieferungen nach Kuba möglich. Es ist so, dass die Kubaner jedes Jahr mittlerweile für zwischen 400 und 500 Millionen Dollar Lebensmittel gegen Barzahlung in den USA einkaufen. Das ist das Resultat einer unermüdlichen Lobbyarbeit der – eher republikanisch orientierten – amerikanischen Landwirtschaft und Lebensmittelindustrie – zum Ärger der Europäer.

Was können europäische Diplomaten tun?
Die Beziehungen zu Europa sind praktisch komplett eingefroren. Es gibt weder ein amerikanisches noch ein bekanntes europäisches Konzept für das postcastristiche Kuba. Das einzige, was man von offizieller kubanischer Seite weiß, ist, dass Raúl Castro, der fünf Jahre jüngere Bruder, die Nachfolge antreten soll, und zwar nicht als Einzelherrscher, sondern als primus inter pares. Aber Fidel Castro greift neuerdings auch jenes Wirtschaftskonzept an, mit dem Kuba in den letzten zehn Jahren eigentlich ganz gut gefahren ist. So liegt jetzt alles wieder im Dunkeln.

Wie schätzen Sie den Strategiewechsel der Europäer ein?
Die Europäer haben ja den Versuch gemacht, und zwar ausgehend von Spanien, im vorigen Frühjahr die Frostperiode zu beenden, indem sie Lockerungen in den Beziehungen in Aussicht gestellt haben. Und als man nach einigen Vorsondierungen glaubte, jetzt käme man mit den Kubanern auf offizieller Ebene wieder ins Gespräch, hat Castro das ja brüsk unterbunden. Er hat sich sogar darüber lustig gemacht, die Regierung Zapateros in Spanien düpiert und gesagt, er brauche weder Europa noch die USA. Das mag für ihn gelten, aber wie soll es nach ihm für die Kubaner weitergehen? Er sollte froh sein, dass die Europäische Union sich um Kuba mehr zu sorgen scheint als die USA, die nur das Geschäft sehen.

Stillstand also...
…und Rückschritt: für das kubanische Volk eine desaströse Situation. ... [...]
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Der Tagesspiegel
27.02.2005
Guantánamo III
Stacheldraht im Kopf
In Guantánamo sitzen zurzeit 550 Häftlinge: ein rechtsfreier Raum, ein Desaster für die Demokratie. Und alle reden von Bushs Charme-Offensive
© Volker Skierka
Im Jahr 1874 meldete der Farmer J.F. Glidden aus Illinois eine Erfindung zum Patent an, welches die Tier- und später auch die Menschenhaltung revolutionieren sollte: den Stacheldraht. Seither erobert der mit spitzen Zacken versehene gezwirbelte Draht die Welt. Was ursprünglich dafür gedacht war, große Viehherden zusammenzuhalten, ist heute eine der effizientesten – und preiswertesten – Defensivwaffen der Menschheit.

Seine harmloseste Verwendung findet der Stacheldraht bei der Abwehr von Einbrechern, sein grausamster Einsatz spiegelt sich in den Bildern der Kriegsfotografie und denen der Konzentrationslagern der Nationalsozialisten – als Umzäunung von Gefangenenlagern und tödlichen Minenfeldern. Nach dem Zweiten Weltkrieg trennte er als Eiserner Vorhang Ideologien und Völker, in Sechzigern Polizisten von Demonstranten und bis heute weltweit Militärkasernen, staatliche Einrichtungen und Amtsträger vor verdächtigen Bürgern. Seit den Terroranschlägen vom 11. September hat es den Anschein, als werde der ganze Erdball allmählich eine Stacheldrahtkugel, der Reisefreiheit und den offenen Grenzen in der globalisierten Welt zum Trotz. Die fortschreitende Vernetzung der Bürger geht einher mit einem Verlust ihrer Bewegungsfreiheit... [...]
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DER TAGESSPIEGEL, Dritte Seite
26.01.2004
Guantánamo II
Wo endet das Recht?
Hunderte von „Terroristen“ sitzen in einem US-Lager weitab von der Welt – ein Besuch in Guantanamo Bay auf Kuba
© Volker Skierka
Die Farbe Orange. Seit dem 11. September 2001 steht sie in Amerika für den Verlust von Freiheit. Als Synonym für ein Leben in ständiger Bedrohung. Bei Terroralarm der Stufe „Code Orange“ droht überall Gefahr. Und Reisen in den Zeiten von „Code Orange“ bedeutet: Jeder ist verdächtig. Doch als der Autor an einem Januarmorgen im Marinestützpunkt Jacksonville in Florida sein Ticket mit der Nummer „VS206804PRC000“ in die Hand gedrückt bekommt, weiß er, dass er keine Gefahr für die nationale Sicherheit der Vereinigten Staaten darstellt. Schon vor Wochen musste sich sein Name auf eine Odyssee durch die Computer des Pentagon sowie der US-Sicherheits- und Geheimdienste begeben, ehe er die Erlaubnis erhielt, auf dem Militärflug BLM3 mitreisen zu dürfen. „Allein neun Tage dauerte es, bis Ihre FBI-Überprüfung vorlag“, wird ihm später jemand verraten. „Checked and cleared“, und „embedded“ in die von ihm unterschriebenen Verhaltensregeln der Public-Relations-Abteilung des US-Verteidigungsministeriums ist er schließlich unterwegs an ein für gewöhnliche Reisende verbotenes Ziel... [...]
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DER TAGESSPIEGEL
22.04.2002
Guantanamo I
Was tun die Yankees auf Kuba?
© Volker Skierka
Das knusprig-braune und fettglänzende Brathuhn, das der kubanische Kellner serviert, weckt nostalgische Erinnerungen an den legendären Gold-Broiler zu DDR-Zeiten. Um so mehr, weil der Blick vom Mittagstisch direkt auf eine Grenzanlage fällt, die dem „antifaschistischen Schutzwall“ ähnelt, welcher einst die Erde in ideologisch verfeindete Hälften dividierte. Minenfelder, Panzersperren, Stacheldrahtverhaue, Bunker, elektronische Sicherungsanlagen, Patrouillenwege, Wachtürme sind von dem über 400 Meter hoch gelegenen Aussichtspunkt „Los Malónes“ aus zu sehen. Dazwischen ein einsamer Grenzübergang, überragt von zwei Fahnenmasten. An dem diesseits flattert die kubanische Flagge, an jenem drüben die der Vereinigten Staaten von Amerika. „Drüben“, das ist der US-Flottenstützpunkt Guantánamo. Er ist 117,5 Quadratkilometer groß und liegt auf kubanischem Territorium. Uncle Sam, Fidel Castros Klassenfeind, hat ihn sich vor 99 Jahren angeeignet. [...]
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