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Castro - Graphic Novel / Comic
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von Reinhard Kleist, mit einem Vorwort von Volker Skierka |
280 Seiten, Hardcover, farbig, Deutschland: € 16,90 / Oesterreich: € 17,40 / Schweiz: sFr 30,90, Erscheinungsdatum: 1. Oktober 2010, Carlsen Verlag, ISBN 978-3-551-78965-5 |
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Marta Feuchtwanger Copyright Volker Skierka
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Ein Don Quijote gegen Dummheit und Gewalt |
Einstündiges Radio-Feature von Volker Skierka für NDR-Kultur aus Anlass des 50. Todestages am 21. Dezember 2008 und des 125. Geburtstages des deutsch-jüdischen Schriftstellers Lion Feuchtwanger am 7. Juli 2009 sowie ein Gespräch mit dem Schriftsteller und Literaturexperten Prof. Fritz J. Raddatz.
Der Freund und Weggefährte von Bertolt Brecht, Heinrich und Thomas Mann, Arnold Zweig sowie anderen literarischen Zeitgenossen zählte zu den ersten, den die Nationalsozialisten nach der Machtergreifung Hitlers ausbürgerten. 1933 zog der Verfasser historischer Romane wie „Jud Süß“, „Erfolg“, „Der jüdische Krieg“ und „Goya“ zunächst nach Sanary-sur-mer an der französischen Mittelmeerküste. 1940, nach dem Überfall Deutschlands auf Frankreich, mußte er er unter dramatischen Umständen in die USA fliehen. „Die Dummheit der Menschen ist weit und tief wie das Meer“, schrieb er 1933 in einem Brief an Zweig. Seine Arbeit widmete der linksbürgerliche Romancier dem – vergeblichen - Kampf der Vernunft gegen Dummheit und Gewalt. Volker Skierka, Journalist und Biograf Feuchtwangers, zeichnet dessen Leben anhand von Dokumenten, Interviews und – bislang unveröffentlichter - Tonbandaufnahmen zahlreicher Gespräche nach, die der Autor einst mit Feuchtwangers Witwe Marta und seiner Sekretärinnen Lola Sernau führte.
(Mehr unter Menüpunkten "Publikationen / Lion Feuchtwanger" sowie "Villa Aurora") |
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Konzentrationslager Birkenau (Auschwitz). - Text und Fotos: Volker Skierka
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Weiße Flecken, dunkle Geschichte |
Aus: Der Tagesspiegel, 20. Jan. 2006
80 Jugendliche, Deutsche und Polen, auf der Suche nach der Wahrheit, die die Nazis unterdrückt haben. Versuch einer Versöhnung
Alles ist wie in Watte gebettet. Der Schnee liegt hoch, die Bäume und der doppelte Stacheldrahtzaun sind weiß überpudert. In klirrender Kälte passieren die polnischen Germanistik-Studentinnen Kasia Król und Maria Mrówca das weit geöffnete Tor unter dem Schriftzug „Arbeit macht frei“. Es ist früh am Tag. Man ist allein im ehemaligen Menschen-Vernichtungslager Auschwitz und Birkenau. Stumm, in sich gekehrt und ziellos gehen die jungen Frauen durch die einsamen Lagerstraßen, stehen in einer der ehemaligen Gefangenen-Unterkünfte plötzlich vor einer 20 Meter langen Glaswand, hinter der zwei Tonnen Menschenhaar liegen. Es konnte wegen der Befreiung des KZs nicht mehr an die Textilindustrie geliefert werden.
Kasia, die große, schlanke Dunkelhaarige, ist 21 Jahre alt, Maria, etwas kleiner und blond, ist 23. Ihre Gesichter sind wie versteinert. Draußen sagt Kasia nur: „Wenn man daran denkt, dass viele der Täter und der Opfer in unserem Alter waren …“ Dann nimmt Maria den Faden auf und sagt: „Ich glaube, es ist wichtig für die Deutschen, dass Menschen anderer Nationen mit ihnen darüber sprechen.“
In dem massiven roten Backsteinbau mit der Nummer 24, wo das Archiv jenes Ortes untergebracht ist, haben Kasia und Maria mit drei Kommilitoninnen und einem Kommilitonen von der Universität des 60 Kilometer entfernten Krakau mit einem einzigartigen deutsch-polnischen Geschichtsprojekt begonnen.
Die Studenten forschten nach Lücken und Manipulationen in der seit dem Überfall Hitlers auf Polen 1939 gleichgeschalteten Lokalpresse. Diese „weißen Flecken“ in der offiziellen Berichterstattung, versuchten die Studenten 60 Jahre nach Kriegsende mit Wahrheiten zu füllen. „Hunderte von dicken Bänden, Tagebücher und Dokumente, liegen hier“, sagen sie. „Wir haben einfach einige herausgegriffen, darin geblättert und gelesen. Das war der Anfang.“
Herausgekommen ist dabei aber nicht eine neue Arbeit über den Massenmord von Auschwitz, sondern eine Untersuchung über ein nahezu unbekanntes Thema – über den damals weitverzweigten und oft tödlichen Widerstand der gut organisierten polnischen Pfadfinderbewegung und deren Untergrundpresse im Raum Krakau...
(Klicken Sie oben links im Menü auf "Texte" und lesen Sie weiter) |
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Nach Castro ist vor Castro |
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Nach Castro ist vor Castro |
Der Comandante schwächelt – vor drei Jahren brach Fidel Castro bei einer |
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© Volker Skierka |
Cicero, Dezember 2004 |
Die Rede war beendet, langsam
stakste der Máximo Líder
vom Rednerpult zu seinem
Sitzplatz. Da passierte es. Der
zunehmend fragil wirkende kubanische
Staatschef bleibt mit einem Absatz an einer
Stufenkante hängen, strauchelt, fällt
der Länge nach hin. Der Augenblick des
Schreckens im Publikum dauert nur kurz,
da ist er schon wieder lebendig und mit
Hilfe seiner Leibwächter auf den Beinen.
Wie um aller Welt deutlich zu machen,
dass er auch weiterhin fit sei zu führen,
verkündet er gleich danach, dass er sich
bei dem Sturz Arm und Kniescheibe gebrochen
habe. Die körperlichen Blessuren,
die er an jenem Tag Ende Oktober
davontrug, dürften den inzwischen 78-
Jährigen, der seit längerem an Arthritis
leidet, zusätzlich beeinträchtigen. Was
wird passieren, wenn die Beine ein weiteres
Mal nachgeben?
Das Szenario, eine Art Generalprobe,
wie es nach dem Tag „X“ ohne Fidel
Castro weitergeht auf Kuba, wurde schon
vor drei Jahren in einer ungleich dramatischeren
Situation durchgespielt. Zwei
Stunden schon hatten an jenem 23. Juni
2001 die 70 000 Zuhörer in Cotorro, einer
Stahlarbeiterstadt nahe Havanna, ihrem
Máximo Líder gelauscht, 51 Männer
und Frauen waren dabei in der schwülen
Hitze nach und nach kollabiert, als der
Redner selbst ins Taumeln geriet. „Helft
mir“, flüsterte Castro noch, bevor er vor
laufender Fernsehkamera am Pult zusammenbrach
und im letzten Augenblick
aufgefangen werden konnte. Während
sie ihn hastig in den stets bereitstehenden
Notarztwagen trugen, machte sich
im Publikum Bestürzung breit, stand
die Entourage des Comandante auf dem
Podium endlos lange Sekunden wie versteinert.
Mehr noch als bei seinem jüngsten
Sturz glaubten viele, nun sei jener
dramatische Moment gekommen, den
die Anhänger Castros fürchten und den
seine Gegner lange herbeigesehnt haben:
der Tod des scheinbar Unsterblichen. Sofort
standen die altbekannten Fragen im
Raum: Wer und was folgt auf den alten
Patriarchen?Dass es einen Wandel nach Castro
geben wird und muss, ist auf Kuba zu
spüren – und die Führungselite weiß das
auch. Überall im Lande, vor allem bei
den jungen Menschen unter 30, die mehr
als zwei Drittel der Bevölkerung stellen,
herrscht eine Atmosphäre angespannHavanna,
Capitolio
Cicero 37
12/2004
ter Erwartung. Als Castro in Cotorro
zusammenbrach, richteten sich sofort
alle Blicke auf seine beiden wichtigsten
politischen Ziehsöhne. Auf Carlos Lage,
Castros Vize im Staats- und Ministerrat,
Architekt jener Wirtschaftsreformen,
welche die kubanische Revolution nach
dem Zusammenbruch des Kommunismus
in Osteuropa ins 21. Jahrhundert
hinüberretteten, und auf Felipe Pérez-
Roque, den ehrgeizigen Außenminister,
der davor acht Jahre lang Castros Büroleiter
und engster Mitarbeiter war.
Doch Roque, der jüngste unter den
Revolutions-Granden, kennt die Spielregeln
der Nomenklatura und weiß sich
zu beherrschen. Und so ist er der Erste,
der sich nach Castros Zusammenbruch
wieder fängt, ans Mikrofon eilt und um
Ruhe bittet. Unsicher, was sich hinter
der Bühne im Notarztwagen abspielt,
peitscht Pérez-Roque geistesgegenwärtig
die Losung in die Menge: „Viva Raúl!
Viva Fidel!“ Damit hat er aller Welt die
Botschaft verkündet: Segnet Fidel jetzt
das Zeitliche, ist Raúl automatisch der
Erste, Fidels fünf Jahre jüngerer Bruder.
Raúl Castro ist als erster Vizepräsident
der natürliche Nachrücker. So
schreibt es die kubanische Verfassung
Niemand ist in Sicht,
der nach Fidels Ableben
Raúl Castro den Anspruch
aufs höchste Staatsamt
streitig machen würde
Fernsehbilder von Castros Sturz
am 20. Oktober 2004
FOTOS: AP PHOTO / APTN / MICHAEL NISCHKE
WELTBÜHNE
vor, so hat es auch der inzwischen 78
Jahre alte Comandante für den Ernstfall
letztwillig verfügt – sofern Fidel am
Ende nicht auch noch den designierten
Nachfolger überlebt. Die beiden Brüder
bilden weltweit das am längsten über ein
Land und ein Volk gebietende Machtgespann.
Im kubanischen Führungsapparat
ist keiner in Sicht, der nach Fidels
Ableben Raúl Castro den Anspruch aufs
höchste Staatsamt streitig machen würde.
Seit einem halben Jahrhundert ist er nun
schon Fidels gefürchteter Schattenmann,
der dem großen Bruder den Rücken freigehalten
hat von Heuchlern und Meuchlern.
Mit dem Sieg der Revolution am 1.
Januar 1959 wurde er Verteidigungsminister
und seither hört der gesamte Sicherheitsapparat
auf sein Kommando.
Abgesehen vom Alter haben die beiden
Söhne eines ehemaligen spanischen
Soldaten, der es im Osten Kubas zum reichen
Großgrundbesitzer gebracht hatte,
nahezu parallele Lebensläufe. Sie besuchten
dieselben Jesuiteninternate und
studierten an der Universität Havanna.
Doch während Fidel als glänzender Jurist
promovierte und eine Politikerkarriere in
der sozialdemokratisch ausgerichteten
„Ortodoxo“-Partei anstrebte, schloss Raúl
sich 1953 der Jugendorganisation der
moskauorientierten, kommunistischen
Sozialistischen Volkspartei PSP an. Er
brachte Fidel 1955 im mexikanischen
Exil mit Che Guevara zusammen. Und
es war vor allem Raúl, der nach dem Sieg
der Revolution und der Vertreibung des
Diktators Fulgencio Batista am 1. Januar
1959 begann, unter dessen Schergen
aufzuräumen – zwischen 500 und 1000
wurden hingerichtet. Die Aufgabenverteilung
sah fortan so aus: Fidel war das
„Herz“ der Revolution, Che das ideologische
„Hirn“ und Raúl die „Faust“. Wer
künftig das „Herz“ bedrohte, den packte
die „Faust“.
Dem jüngeren Castro fliegen nicht
die Sympathien zu, und nur jene, die
ihn zu kennen glauben, trauen ihm auch
die Nachfolge des älteren Bruders zu. Er
sei durchaus humorvoll, sagen sie, habe
etwas Verschmitztes und offenbare im
kleinen Kreis einen herzlichen Charme.
Während Fidel die Frauen liebe, wovon
mindestens sieben Söhne und eine Tochter
zeugen, gibt Raúl sich als Familienvater.
Seit 1959 ist er mit Vilma Espín verheiratet,
der Tochter eines kubanischen
Rumfabrikanten.
RAÚLS STÄRKEN lagen stets eher im
Stillen verborgen und wurden durch
Fidels Omnipotenz überstrahlt. Schon
äußerlich mangelte es dem Jüngeren an
allem, was die Attraktion des Älteren
ausmachte. Körperlich eher kurz geraten,
mit einem verkniffen wirkenden Ausdruck
war Raúl nie ein Frauenschwarm
wie der andere, wirkte bieder, hölzern
und linkisch. Er ist kein großer Redner,
zieht deshalb den bescheidenen Auftritt
der großen Geste vor und verfügt wohl
auch nicht über die außergewöhnliche
Intelligenz Fidels. Dieses Manko macht
er jedoch durch Schläue und Durchtriebenheit
wett. Während Fidel in der
FOTO: RAFAEL PAREZ
Fidel Castro (rechts) und sein Bruder Raúl
Castro bei einer Feier in Havanna zu Ehren
des hundertsten Todestages des kubanischen
Freiheitskämpfers Antonio Maceo
Havanna, Plaza 13 de Marzo
Bevölkerung gleichermaßen geliebt wie
gefürchtet ist, wird Raúl nur gefürchtet.
Fidel gilt als Autorität, der Bruder als autoritär.
Es ist die Frage, ob das ausreicht,
eines Tages ein von Fidel hinterlassenes
Vakuum auszufüllen. Raúl selbst antwortete
vor einiger Zeit gegenüber einer
amerikanischen Wirtschaftsdelegation
auf die Frage, was passieren wird, wenn
sein Bruder stirbt: „Das ist unmöglich zu
wissen, denn sie können nicht einen Elefanten
durch hundert Hasen ersetzen.“
Doch hat Raúl für den Tag „X“ sein
Haus anscheinend bestellt. Im Juli 1989
wurde der 49-jährige hoch dekorierte Veteran
des Angola-Krieges und „Held der
Revolution“, General Arnaldo Ochoa,
zusammen mit drei weiteren Offizieren
überraschend wegen Hochverrats in Verbindung
mit Drogenhandel, illegalen
Geschäften und Korruption hingerichtet.
In der Folge kam es zu einer umfassenden
„Säuberung“ des Militär- und Sicherheitsapparates,
in deren Verlauf auch
der Innenminister, hochrangige Militärs
und Mitarbeiter des Innen- und Verteidigungsminsteriums
zu hohen Haftstrafen
verurteilt wurden und von der Bildfläche
verschwanden. Es wurde spekuliert, ob
es sich bei dem Fall Ochoa in Wahrheit
um die Niederschlagung einer sich anbahnenden,
möglicherweise von Moskau
unterstützten Verschwörung von Anhängern
der Gorbatschowschen Perestrojka
handelte. In der Folge besetzte Raúl
Castro alle Schlüsselpositionen bei der
Polizei, in den Geheimdiensten und im
Militär, aber auch an der Spitze wichtiger
Ministerien überwiegend mit absoluten
Vertrauensleuten aus den Reihen des Militär-
und Sicherheitsapparates. Damit
wurde er – mindestens – so mächtig wie
Fidel. Nicht ohne Grund kursiert schon
lange hinter den Kulissen des „Fidelismus“
der Begriff vom real existierenden
„Raúlismus“. Der viel beschworene
„Sozialismus“ ist mit der Sowjetunion
untergegangen und heute nichts weiter
als eine nostalgische Propagandaformel,
ein untergeordnetes Attribut des
zum herrschenden „Castrismus“ vereinten
„Fidelismus“ und „Raúlismus“. Und
der Parteiname „Partido Comunista de
Cuba“ (PCC) könnte längst für „Partido
Castrista de Cuba“ stehen. Denn inzwischen
lautet die politische Alternative für
die beiden Castros und für die Kubaner
nicht mehr „Sozialismus oder Tod“, sondern
„Vaterland oder Tod“. Eine Rückkehr
zu den Ursprüngen der Revolution.
Als Castro vor Jahren einmal gefragt
wurde, ob es nicht an der Zeit sei, eine
pluralistische Gesellschaft zuzulassen,
meinte er nur matt: „Das sollen meine
Nachfolger machen.“ Anders als im einstigen
Ostblock hat er persönlich dafür
gesorgt, dass der Staats- und Parteiapparat
sich fortwährend verjüngte.
ER SELBST umgibt sich seit Jahrzehnten
mit einem handverlesenen 20-köpfigen
Team qualifizierter junger Berater, der
„Koordinations- und Unterstützungsgruppe
des Oberbefehlshabers“. Sie managen
das politische Tagesgeschäft und
entwerfen Szenarien – offenbar auch für
die Zeit nach dem Máximo Líder. „Die
Nachfolge … wird nicht nur bereits
vorbereitet, sie funktioniert schon seit
geraumer Zeit“, verriet Castro Anfang
2000 in einem Interview. „Zahlreiche
bereits erfahrene junge Menschen und
eine weniger umfangreiche Gruppe von
Revolutionsveteranen, mit denen sie sich
zutiefst identifizieren, sind diejenigen,
in deren Händen das Leben des Landes
liegt.“
Zu diesen Leuten gehören der seit
Mitte der achtziger Jahre vom Kinderarzt
zum Chefökonomen und einer Art Vize
premier aufgestiegene Carlos Lage und
der rund zehn Jahre jüngere, langjährige
Bürochef Fidel Castros, Felipe Pérez-
Roque, ebenso wie der seit Jahren für die
schwierigen Beziehungen zu Washington
zuständige Parlamentspräsident Ricardo
Alarcon de Quesada und Castros derzeitiger
Bürochef Carlos Manuel Valenciaga.
Der eher stille und unscheinbare Lage ist
der Mann, der, seit Mitte der achtziger
Jahre an Castros Seite, mit der Einführung
des Dollars als Zahlungsmittel, der
Joint Ventures kubanischer Staatsbetriebe
mit kapitalistischen Unternehmen
vorwiegend aus Europa und der Zulassung
von über 150 000 Kleinunternehmen
die kubanische Wirtschaft vor dem
völligen Kollaps bewahrt hat. Nach dem
Verschwinden des Sowjetsystems und
damit fast aller Wirtschaftspartner und
Kreditgeber war das Bruttosozialprodukt
Kubas um katastrophale 35 Prozent eingebrochen.
Es heißt, Lage habe seine Wirtschaftsreformen
gegen den erbitterten
internen Widerstand der alten Hardliner
nur durchsetzen können, weil Raúl
Castro ihm auch gegenüber Fidel Castro
Rückendeckung gab. Damit jedoch niemand
glaubt, der Comandante habe ratenweise
abgedankt, überrascht er hin
und wieder mit spektakulären Auftritten:
Einmal bricht er praktisch mit der
Europäischen Union, weil diese die drakonische
Bestrafung von 75 – in Wahrheit
harmlosen und politisch reichlich
naiven – Dissidenten kritisierte, dann
schockiert er vor allem die Kubaner, als
er die Dollargeschäfte, in denen kapitalistischer
Luxus auch in Kuba zu haben
ist, vorübergehend schließen lässt.
UND NUN, NACH SEINEM jüngsten
Sturz, setzte er sich mit Armbinde neben
den Zentralbankchef vor die Kameras
und ließ die Verbannung des Dollar aus
dem Zahlungsverkehr verkünden. Nur
noch in kubanischen Pesos „convertibles“,
einer Art Drittwährung neben dem
Dollar und dem normalen Peso, darf
künftig in Kuba bezahlt werden.
Sein Bruder Raúl gilt hingegen längst
schon als der pragmatischere und flexiblere
der beiden Castros, auch weil er weniger
weltanschauliche und moralische
Skrupel hat als Fidel. Er hat Generäle
sowie hochrangige aktive und pensionierte
Offiziere mit der Verwaltung
von Schlüsselbereichen der Wirtschaft
betraut. Die wichtigsten Männer unter
ihnen sind der seit 15 Jahren amtierende,
von Raúl und Fidel Castro eingesetzte
Innenminister, General Abelardo Colomé
Ibarra, der Transportminister General
Ulises Rosales del Toro und der
stellvertretende Verteidigungsminister,
General Julio Casas Riguiero. Letzterer
ist Chef der ebenfalls von Offizieren
kontrollierten Wirtschaftsunternehmen
der Streitkräfte, der 230 Betriebe umfassenden
„Union de Empresas Militares“
(URM). Sie arbeiten nach dem Muster
kapitalistischer Betriebe und strengen
Vorgaben effizienter und gewinnbringender
als zivil gelenkte Staatsfirmen.
Praktisch sämtliche kubanische TourisFOTO:
RAFAEL PAREZ
Fidel Castro bei einer Rede im Parlament in
Havanna – er plädiert für die Beibehaltung des
kommunistischen Ein-Parteien-Staates
Havanna, Vedado
mus-Unternehmen und Joint Ventures
mit ausländischen Tourismus-Partnern
wie Reiseveranstaltern und Hotelketten
gehören zu diesem in den vergangenen
zehn Jahren aufgebauten Tourismus-
und Dienstleistungs-Konzern der „Fuerzas
Armadas Revolucionarias“ (FAR).
Als Kuba Anfang der neunziger Jahre
praktisch über Nacht auf sich allein gestellt
war, ließ Raúl Castro Waffen und
Gerät „einmotten“, schickte die Soldaten
in die Landwirtschaft und zwang den
Militärapparat, auf Selbstversorgung
umzustellen. „Bohnen sind wichtiger als
Kanonen“, lautete sein Befehl.
DANN WURDEN Baumaschinen angeworfen
und Hotels und Tourismusanlagen
aus dem Boden gestampft. Maßnahmen,
die dem Selbstbewusstsein der
mit einstmals 250 000 Mann stärksten
Militärmacht Lateinamerikas zunächst
schwer zugesetzt haben dürften. Das
wäre vermutlich mit keiner anderen Armee
der Welt, und schon gar nicht einer
lateinamerikanischen, zu machen gewesen.
Dass dies auf Kuba funktioniert,
ist nur aus der absoluten Identifikation
mit den revolutionären Traditionen als
„Volksarmee“ und der bedingungslosen
Loyalität zu den Castro-Brüdern als
Soldaten, die selbst an vorderster Front
kämpften, zu erklären. Als Streitmacht
für den Krieg wie als Tourismus-Firma
für den Frieden, mithin als militärisches
wie ökonomisches Rückgrat des Regimes,
bilden die Revolutionären Streitkräfte einen
Machtfaktor, an dem kein Nachfolger
Fidel Castros und auch das Ausland
nicht vorbeikommen. Jede Form des
Übergangs ist daher nur mit und nicht
gegen die FAR realistisch. Auch wenn
der Abgang Fidel Castros in der kubanischen
Exilantengemeinde und bei der
politischen Rechten in den USA wie auf
Knopfdruck einen gewaltigen politischen
Erwartungsdruck erzeugen wird, sind
Hoffnungen auf eine schnelle Öffnung
des Landes, ja auf einen raschen Systemwechsel,
praktisch aus dem Nichts
heraus, vollkommen realitätsfremd. Das
Gleiche gilt für Denkmodelle, nach denen
Exilkubaner von außen die Macht
erobern könnten. Raúl Castro und
seine Leute werden zu verhindern wissen,
dass „Außerirdische“ von unzufriedenen
Kubanern willkommen geheißen
werden. Und ein Versuch, mit militärischer
Unterstützung durch die USA zu
diesem Ziel zu kommen, würden in einen
Bürgerkrieg münden. Auch Oppositionsgruppen
im Lande werden nicht
die Chance einer echten Einflussnahme
bekommen, sofern sie sich nicht mit dem
System arrangieren.
Abgesehen davon ist nirgendwo, weder
im Lande noch im Exil, eine Persönlichkeit
in Sicht, die über genügend
Autorität, Kompetenz und vor allem die
Macht verfügt, um einen Systemwechsel
glaubwürdig herbeizuführen. Die Erfahrungen
in Osteuropa haben gelehrt, dass
Veränderungen solcher über Jahrzehnte
gewachsener Strukturen Zeit brauchen.
Die kubanische Nomenklatura hatte
ihrerseits hinreichend Gelegenheit, den
Zusammenbruch Osteuropas und das
Schicksal seiner ehemaligen Führungs-
eliten zu analysieren. Sie würde das Feld
nicht kampflos räumen und freiwillig
ihre Privilegien und Pfründe preisgeben.
Daher sind auch Hoffnungen auf
eine Spaltung der Militär- und Regierungshierarchie,
die durchaus kein monolithischer
Block ist, eher Wunschdenken.
Zwar sind einige Castrologen
der Ansicht, Fidel Castro hinterließe
ein Machtvakuum, welches sich mit langen
und grausamen Richtungskämpfen
zwischen den Militärs, der Bürokratie,
den Technokraten, den Jungen und den
Revolutionsveteranen ausfüllen würde.
Andererseits wissen alle Beteiligten, dass
dies zu einem Zusammenbruch des Systems
führte, dem sie selbst als Erste zum
Opfer fielen – dies lehrt das Beispiel Osteuropa
ebenfalls. Und es lehrt, dass die
Vorkämpfer der Freiheit ebenfalls nahezu
überall in der Versenkung verschwanden.
Die Welt liebt zwar den Verrat, aber
nicht den Verräter. Deshalb schlägt mit
der Stunde des Todes von Fidel Castro
auch die des Sicherheitsapparates, der im
Rahmen einer zu erwartenden Mobilmachung
alles tun wird, um zusammenzuhalten
und einer „Desintegration“ von
innen wie von außen vorzubeugen.
Es würde nicht überraschen, wenn
der Übergang längst detailliert geplant
und organisiert wäre. Experten halten
es durchaus für möglich, dass Castros
Erben sogar relativ kurzfristig einen
dritten Weg zwischen sozialistischem
Castroismus und Kapitalismus einschlagen
könnten und das chinesische Modell
eines kapitalistischen Kommunismus zu
kopieren versuchen – mit einer Marktöffnung
und größeren persönlichen und
unternehmerischen Freiheiten für den
Einzelnen. Wiederholt haben Mitglieder
der gegenwärtigen Führung – auch Fidel
und Raúl Castro – Reisen in das Reich
der Mitte unternommen und ihr Interesse
an einer „Kubanisierung“ des chinesischen
Modells gezeigt. Gleichzeitig
scheint sich in den USA ein Wandlungsprozess
abzuzeichnen. Jene kompromisslosen
Exilkubaner-Organisationen,
denen es nur um Alles oder Nichts geht,
verlieren an Boden. Zwar hat Präsident
George W. Bush ihnen zuliebe noch einmal
die Sanktionen gegen Kuba drastisch
verschärft – und damit zu viel des Guten
getan. Die Möglichkeiten von Geld-
überweisungen nach Kuba und zu Verwandtenbesuchen
wurden so drastisch
beschnitten, dass damit die Exilkubaner
praktisch von ihren Familien auf Kuba
abgeschnitten werden. Dies hatte einen
Aufruhr und eine offene Spaltung der
Exilkubaner-Gemeinde zur Folge. Ohnehin
sind immer mehr Exilkubaner der
jüngeren Generation für einen Dialog
mit Havanna, so wie inzwischen etwa 70
Prozent der Amerikaner für die Aufhebung
des Embargos plädieren. Doch mit
der Wiederwahl von George W. Bush
dürfte das Problem komplizierter werden
denn je. Hatte John F. Kerry eine Neuorientierung
in der Kuba-Politik in Aussicht
gestellt, sind Bush durch seine engen
Bindungen an den radikalen Flügel
der Exilkubaner-Gemeinde die Hände
gebunden. Zumindest ist eine Verschärfung
der Tonlage gegenüber Castro zu
erwarten, auch wenn die Politik hinter
den Kulissen möglicherweise in Erwartung
eines baldigen Abgangs von Castro
pragmatischer ausfallen dürfte.
So empfiehlt der amerikanische Kongress
schon seit Jahren mit einer breiten
Mehrheit aus Demokraten und Republikanern
wenigstens eine Lockerung der
Blockade, seit man einsehen musste, dass
diese Castro nicht schwächte, sondern
stärkte. Und schon seit langem geben
sich Unternehmer- und WirtschaftsMICHAEL
NISCHKE veröffentlichte die
abgebildeten Panorama-Fotos im gerade erschienen
Bildband „La Habana, Cuba“
(Edition Panorama Bibliothek), der direkt über
Cicero zu bestellen ist (s. Seite 51)
Havanna, Avda. Antonio Maceo
delegationen aus den USA in Havanna
die Klinke in die Hand, um sich gute
Startpositionen für die Zeit nach Castro
zu schaffen. Dabei scheint es, als ob die
Europäer, deren Joint Ventures Fidel
Castro in den letzten Jahren über Wasser
hielten, nach Castros Abgang ausgebootet
werden. Schon jetzt kauft Kuba jedes
Jahr für hunderte Millionen von Dollar
bei amerikanischen Firmen unter Umgehung
des Embargos als humanitäre Hilfe
deklarierte Lebensmittel und andere
Güter, darunter ganze Schiffsladungen
Holz – und zahlt bar, während sich Kubas
Schulden bei den Europäern immer
höher auftürmen. Die Kuba-Politik der
Europäischen Union befindet sich praktisch
hoffnungslos verfahren in einer
Sackgasse, seit man sich nach der Inhaftierung
der besagten 75 Dissidenten im
Frühjahr 2003 aus dem Dialog mit Kuba
verabschiedet hat.
Demgegenüber erscheint es fast
als Sensation, dass bereits seit einigen
Jahren ein diskreter Dialog zwischen
kubanischen und amerikanischen Militärs
stattfindet. Mehrmals hat das
Washingtoner Center for Defense Information
(CDI), ein militärpolitischer
Think-Tank, Zusammenkünfte pensionierter
amerikanischer Vier-Sterne-Generäle
mit Angehörigen einer ähnlichen
kubanischen Einrichtung und aktiven
FAR-Offizieren in Havanna organisiert.
Neben der Erörterung von grenzüberschreitenden
Problemen wie der
Bekämpfung des Drogenhandels, des
Terrorismus und Flüchtlingsfragen, geht
es um den Aufbau eines gegenseitigen
Vertrauensverhältnisses für den Tag „X“.
Der Meinungsaustausch soll dazu dienen,
latente kubanische Befürchtungen
vor einer US-Intervention bei Castros
Tod zu zerstreuen, während die USA
die mächtigste Gruppierung im kubanischen
Machtapparat für eine politische
Liberalisierung und ökonomische Reformen
gewinnen wollen. Initiiert wurden
diese Treffen übrigens – mit Billigung
von Fidel Castro – von dessen Bruder
Raúl, der die Beziehungen zu den USA
verbessert wissen möchte, bevor der Stab
an ihn übergeht.
Aber genau damit würde sich bereits
wieder ein scheinbar unüberwindliches
Problem auftürmen. Denn bislang wollen
die Vereinigten Staaten nicht akzeptieren,
dass ein Castro auf den anderen
folgt. Das hat der US-Kongress 1996
der Welt mit dem Helms-Burton-Gesetz
sogar schriftlich gegeben – und ein
gestärkter Präsident Bush wird diese
Bedingung erst recht einfordern. Das
Gesetz zementiert nicht nur die seit
Anfang der sechziger Jahre bestehende
Wirtschaftsblockade Kubas (sowie die
Sanktionen gegen andere „Schurkenstaaten“).
Es schreibt vor allem auch vor, dass
eine Aufhebung des Embargos nur dann
in Frage komme, wenn in Havanna eine
„Übergangsregierung“ gebildet werde,
die sich „substanziell auf ein marktwirtschaftliches
System“ zubewege, welches
„auf dem Recht basiert, Eigentum zu besitzen
und zu genießen“, sowie „vorzeigbare
Fortschritte bei der Rückgabe oder
Entschädigung konfiszierten US-Eigentums“
mache. Als Grundbedingung
diktiert Paragraf 205a, Absatz 7 des
Helms-Burton-Gesetzes wörtlich: „Eine
Übergangsregierung in Kuba ist eine Regierung,
die … weder Fidel Castro noch
Raúl Castro beinhaltet.“ |
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