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Castro - Graphic Novel / Comic
von Reinhard Kleist, mit einem Vorwort von Volker Skierka
280 Seiten, Hardcover, farbig, Deutschland: € 16,90 / Oesterreich: € 17,40 / Schweiz: sFr 30,90, Erscheinungsdatum: 1. Oktober 2010, Carlsen Verlag, ISBN 978-3-551-78965-5
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Marta Feuchtwanger Copyright Volker Skierka
Ein Don Quijote gegen Dummheit und Gewalt
Einstündiges Radio-Feature von Volker Skierka für NDR-Kultur aus Anlass des 50. Todestages am 21. Dezember 2008 und des 125. Geburtstages des deutsch-jüdischen Schriftstellers Lion Feuchtwanger am 7. Juli 2009 sowie ein Gespräch mit dem Schriftsteller und Literaturexperten Prof. Fritz J. Raddatz.

Der Freund und Weggefährte von Bertolt Brecht, Heinrich und Thomas Mann, Arnold Zweig sowie anderen literarischen Zeitgenossen zählte zu den ersten, den die Nationalsozialisten nach der Machtergreifung Hitlers ausbürgerten. 1933 zog der Verfasser historischer Romane wie „Jud Süß“, „Erfolg“, „Der jüdische Krieg“ und „Goya“ zunächst nach Sanary-sur-mer an der französischen Mittelmeerküste. 1940, nach dem Überfall Deutschlands auf Frankreich, mußte er er unter dramatischen Umständen in die USA fliehen. „Die Dummheit der Menschen ist weit und tief wie das Meer“, schrieb er 1933 in einem Brief an Zweig. Seine Arbeit widmete der linksbürgerliche Romancier dem – vergeblichen - Kampf der Vernunft gegen Dummheit und Gewalt. Volker Skierka, Journalist und Biograf Feuchtwangers, zeichnet dessen Leben anhand von Dokumenten, Interviews und – bislang unveröffentlichter - Tonbandaufnahmen zahlreicher Gespräche nach, die der Autor einst mit Feuchtwangers Witwe Marta und seiner Sekretärinnen Lola Sernau führte.
(Mehr unter Menüpunkten "Publikationen / Lion Feuchtwanger" sowie "Villa Aurora")

Konzentrationslager Birkenau (Auschwitz). - Text und Fotos: Volker Skierka
Weiße Flecken, dunkle Geschichte
Aus: Der Tagesspiegel, 20. Jan. 2006

80 Jugendliche, Deutsche und Polen, auf der Suche nach der Wahrheit, die die Nazis unterdrückt haben. Versuch einer Versöhnung

Alles ist wie in Watte gebettet. Der Schnee liegt hoch, die Bäume und der doppelte Stacheldrahtzaun sind weiß überpudert. In klirrender Kälte passieren die polnischen Germanistik-Studentinnen Kasia Król und Maria Mrówca das weit geöffnete Tor unter dem Schriftzug „Arbeit macht frei“. Es ist früh am Tag. Man ist allein im ehemaligen Menschen-Vernichtungslager Auschwitz und Birkenau. Stumm, in sich gekehrt und ziellos gehen die jungen Frauen durch die einsamen Lagerstraßen, stehen in einer der ehemaligen Gefangenen-Unterkünfte plötzlich vor einer 20 Meter langen Glaswand, hinter der zwei Tonnen Menschenhaar liegen. Es konnte wegen der Befreiung des KZs nicht mehr an die Textilindustrie geliefert werden.

Kasia, die große, schlanke Dunkelhaarige, ist 21 Jahre alt, Maria, etwas kleiner und blond, ist 23. Ihre Gesichter sind wie versteinert. Draußen sagt Kasia nur: „Wenn man daran denkt, dass viele der Täter und der Opfer in unserem Alter waren …“ Dann nimmt Maria den Faden auf und sagt: „Ich glaube, es ist wichtig für die Deutschen, dass Menschen anderer Nationen mit ihnen darüber sprechen.“
In dem massiven roten Backsteinbau mit der Nummer 24, wo das Archiv jenes Ortes untergebracht ist, haben Kasia und Maria mit drei Kommilitoninnen und einem Kommilitonen von der Universität des 60 Kilometer entfernten Krakau mit einem einzigartigen deutsch-polnischen Geschichtsprojekt begonnen.

Die Studenten forschten nach Lücken und Manipulationen in der seit dem Überfall Hitlers auf Polen 1939 gleichgeschalteten Lokalpresse. Diese „weißen Flecken“ in der offiziellen Berichterstattung, versuchten die Studenten 60 Jahre nach Kriegsende mit Wahrheiten zu füllen. „Hunderte von dicken Bänden, Tagebücher und Dokumente, liegen hier“, sagen sie. „Wir haben einfach einige herausgegriffen, darin geblättert und gelesen. Das war der Anfang.“
Herausgekommen ist dabei aber nicht eine neue Arbeit über den Massenmord von Auschwitz, sondern eine Untersuchung über ein nahezu unbekanntes Thema – über den damals weitverzweigten und oft tödlichen Widerstand der gut organisierten polnischen Pfadfinderbewegung und deren Untergrundpresse im Raum Krakau...
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Volker Skierka: "Armin Mueller-Stahl - Begegnungen. Eine Biografie in Bildern."
216 Seiten gebunden, €39,90, erschienen im Oktober 2002 im Knesebeck Verlag München, ISBN 3-89660-139-3
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  E-Mail an Volker Skierka
 
TEXT Sterben und Leben in Kalkutta

Sterben und Leben in Kalkutta
Indiens Metropole des Elends und die Erben von Mutter Teresa
 
 
© Volker Skierka
SPIEGEL SPECIAL Nr.4/1998, Seite 36 ff., 1998


Sie sind Experten. Sie wissen, wann der Tod kommt. Dann halten sie Wache, bereiten die Sterbenden auf ein Ende mit wenigstens etwas Würde vor. Sie singen Lieder, beten, streicheln und trösten sie.
Der 22jährige Inder; den die "Missionarinnen der Nächstenliebe" vom katholischen Orden der Mutter Teresa in seinem eigenen Schmutz auf der Straße auf gelesen hatten, spuckte nur noch Blut. Dann nahm eine der Schwestern in den weißen Saris mit den blauen Borten den Tuberkulosekranken in den Arm und sagte ihm, wie es um ihn steht: "Diese Nacht kann es passieren. Bist du bereit?"
Der junge Mann nickte und antwortete einfach nur: "Ja. Gott gibt und Gott nimmt." Wenig später war er tot.
"Meist geht es ganz ruhig und schnell. Es gibt kein großes Kämpfen oder Aufbäumen. Nicht nur, weil die Menschen zu krank und erschöpft sind. Die meisten sind Hindus oder Muslime. Sie zeigen eine Schicksalsergebenheit, die sie von ihrem Glauben ableiten", berichtet der Sozialarbeiter Andreas Wimmer aus München, der selbst keiner Kirche angehört.
Seit fast neun Jahren arbeitet der 43jährige für Gotteslohn zusammen mit 7 Nonnen und etwa 50 Freiwilligen aus allen Gegenden der Welt im Sterbehaus "Nirmal Hriday" ("Stätte des reinen Herzens").
In jeweils drei Reihen liegen die 100 Männer und Frauen getrennt auf Pritschen in zwei hohen Sälen dieser ehemaligen Pilgerunterkunft an der Rückseite des berühmten hinduistischen Kali?Tempels in dem lebhaften Kalighat?Viertel im Süden Kalkuttas. Die in Abbildungen stets mit einer Kette aus Totenschädeln und anderen Insignien des Todes ausgestattete "schwarze Göttin" Kali ist nach der hinduistischen Glaubenslehre die Frau des Auflösung, Zerstörung und Neubeginn verkörpernden Schiwa, einer der höchsten Gottheiten in der Hindu-Religion neben Brahma und Wischnu. Aus westlicher Perspektive scheint es von einer grausamen Symbolik, daß ausgerechnet in dieser Stadt, wo von zwölf Millionen Menschen schätzungsweise 40 Prozent in absoluter Armut leben, dem Kali-Kult besonders gehuldigt wird. Aus hinduistischer Sicht hingegen schließt sich an diesem Ort der Glaubenskreis von Geburt, Tod und Wiedergeburt.
So verkörpert das "Heim für sterbende Arme" der Mutter Teresa am Rande des Tempelkomplexes für die Menschen von Kalkutta nicht nur die Hoffnung auf ein Sterben in Würde, sondern auch auf den Übergang der Seele in eine bessere Existenz. Dies mag auch erklären, weshalb die Armen unabhängig von der Religion offenbar keine Scheu haben, sich beim Sterben in christliche Fürsorge zu begeben.
Nicht für alle ist Nirmal Hriday die letzte Station. Manche können nach Tagen oder? Wochen wieder entlassen werden und kommen erst zurück, wenn es ihnen wieder schlecht geht. "Wenn die Augen wieder Glanz bekommen, sind die Leute erst mal überm Berg", sagt Wimmer.
Doch bei vielen bleibt der Ausdruck stumpf. Der Mann gleich vorn auf Pritsche 34, der an schwerer Tuberkulose leidet, hat keine Chance mehr. Auch die beiden bis auf die Knochen abgemagerten alten Frauen in den Betten 53 und 56 werden wohl bald in die grün gekachelte Leichenkammer hinter der Waschküche getragen werden müssen. Zwei zusammengefallene, in weiße Tücher gewickelte Körper liegen an diesem Nachmittag schon unter kaltem Neonlicht, bereit zum Abtransport zur Verbrennungsstätte. Der Tod Mutter Teresas im September vergangenen Jahres hat den Alltag in dem weltweit bekannten Sterbehaus kaum verändert. Doch ob die Spendenmillionen auch nach dem Ableben der charismatischen Nonne für den inzwischen weltweit operierenden Orden weiter fließen, ist ungewiß. Ihre eher unscheinbare Nachfolgerin, Schwester Nirmala, ist Inderin und hat es schwerer als die macht? und medienbewußte Katholikin aus dem "weißen" Albanien.
Zudem möchten die pragmatischen Kommunisten, die sowohl in der Stadtverwaltung als auch in der Regierung des Bundesstaates West-Bengalen das Sagen haben, endlich das investitionshemmende Image von Kalkutta als einem riesigen Sterbehaus loswerden, das sich durch die Arbeit von Mutter Teresa als "Engel der Armen" wie Mehltau über die Metropole gelegt hat.
Der wohl wichtigste Mann im Kampf gegen Armut, Hunger und Dreck ist Commissioner Asim Barman, der Chef der Stadtverwaltung. Er ist für alles zuständig, was den Alptraum Kalkutta ausmacht: den Müll und die Abwässer, die unzureichende Wasserversorgung, das mangelhaft organisierte Gesundheitswesen und den chaotischen Straßenverkehr.
Als der Moloch irgendwann am Rande des Kollapses schien, weil Bettler und StraßenhändIer Gassen und Gehsteige blockierten, befahl Barman eines Nachts das große Aufräumen mit Polizei und Bulldozern.
Die neue Härte richtete sich auch gegen die unkontrollierte Ausweitung der Schattenwirtschaft, die mafiagleich von sogenannten Slumlords gesteuert wird. Ohne deren Erlaubnis darf kein Straßenhändler seine Ware auslegen, kein Rikscha?Kuli die Straßen und Gassen befahren und keine Garküche ihre Imbisse anbieten.
"Weil jeder noch so Arme etwas Geld zum Überleben braucht, werden innerhalb dieses geschlossenen Wirtschaftssystems ungeheure Summen Bargeld bewegt", weiß der Erzbischof von Kalkutta, Henry D'Souza.
Noch entschiedener als gegen Bettler und Schwarzhändler kämpft Commissioner Barman gegen den Dreck. Eine seiner gepriesenen Errungenschaften ist die Abfuhr von täglich etwa 2200 Tonnen Müll. Und jeden Morgen läßt er die Straßen fegen und die Rinnsteine reinigen. Mit dieser Maßnahme will Barman ein Signal setzen und an eine Tradition aus jener Zeit anknüpfen, als Kalkutta noch als das Paris Asiens galt.
Der 73 Jahre alte Engländer Bob Wright kam 1947 in die einstige britische Kolonialhauptstadt ? Indien war gerade unabhängig geworden ? und nahm zunächst den Geschäftsführerposten beim weitläufigen und feinen Tollygunge Golf and Country Club an, unweit von Mutter Teresas Sterbehaus, wo er die Fahne der Queen und britische Traditionen hochhielt.
Er erinnert sich noch genau an den Moment, der den Bruch in der Entwicklung der Stadt markierte: "Als in den sechziger Jahren eines Morgens der Brauch eingestellt wurde, täglich die Straßen mit Wasser sauber zu spritzen, begann Kalkutta seinen Charme zu verlieren, und mir war klar: Jetzt beginnt der Niedergang."
Die Einstellung der Straßenreinigung war nur ein äußeres Indiz für den beginnenden Verfall. Hungersnöte trieben Hunderttausende von Landflüchtlingen in die Stadt. Überdies setzte nach dem indisch-pakistanischen Krieg Anfang der siebziger Jahre ein millionenfacher Zustrom aus dem knapp hundert Kilometer entfernten neuen Staat Bangladesch ein.
Er hält noch immer an, ebenso wie die Landflucht von Kleinbauern aus den indischen Bundesstaaten Bihar und Uttar Pradesch.
Die Wirtschaft in und um Kalkutta, einstmals der "Ruhrpott" Indiens, leidet schwer darunter, obwohl die kommunistische Regierung gnadenlos politische Grundsätze über Bord wirft, um Investitionskapital anzulocken. Eines der größten Projekte, mit einem Investitionsvolumen von 600 Millionen Dollar, ist der geplante Bau eines 500?Megawatt?Dampfkraftwerkes in Balagarh unter Federführung des Siemens-Konzerns.
Ständig liegt ein braungrauer Abgasfilm über der Stadt, der bei Regen wie bei Sonnenschein alle Konturen körnig weich und schemenhaft zeichnet. Schätzungsweise 60 Prozent aller Menschen in Kalkutta leiden fortwährend an Erkrankungen der Atemwege. Selbst das Trinkwasser ist kaum zu genießen. Das veraltete Leitungssystem ist voller Lecks, durch die Krankheitserreger eindringen.
In den nächsten drei Jahren werde die Stadt rund eine Milliarde Rupien (etwa 45 Millionen Mark) investieren, um die Wasserversorgung bis zum Jahr 2000 sicherzustellen, verspricht Commissioner Barman. Finanzielle Unterstützung erhält er von der Weltbank und der Asiatischen Entwicklungsbank.
Kalkuttas Erzbischof D'Souza hat ganz andere Sorgen. "Das Problem der Armen in Kalkutta ist nicht der Hunger", sagt er. "Das Schlimmste ist der Analphabetismus und die damit verbundene mangelnde Aufklärung über Hygiene und gesunde Ernährung."
Für Intellektuelle wie den Literaturwissenschaftler und Journalisten Subho Ranjan Dasgupta sind der Verlust jahrtausendealter Traditionen und Lebensformen sowie die kulturelle Entwurzelung der Massen während und nach der über 300jährigen Kolonialherrschaft die Hauptursachen für die heutige Entwicklung.
Nahe der Sealdah Railway Station, einem der geschäftigsten Bahnhöfe der Welt, betreibt die seit über 40 Jahren in Kalkutta lebende irische Schwester Cyril eine Sozialeinrichtung, die für jene, die das Leben noch vor sich haben, mindestens so wichtig ist wie Mutter Teresas Nirmal Hriday für die Sterbenden: die "Lorcto Day School". In dieser Tagesschule kämpft Sister Cyril mit ihren knapp 60 Lehrerinnen einen energischen Kampf gegen den Analphabetismus. 1500 Mädchen ? etwa die Hälfte davon aus den umliegenden Slums, die anderen aus Mittel? und Oberschichtfamilien ? lernen hier Lesen, Schreiben und den Umgang mit modernen Computern. Nicht wenige schaffen sogar die Hochschulreife und träumen von einer Karriere als Rechtsanwältin, Ärztin oder Lehrerin.
Zugleich hat Sister Cyril mit der 30jährigen Lehrerin Laeticia Gomes ein "Barefoot Teacher"?Programm (Barfuß?Lehrer) entwickelt. Nach einem eigenen pädagogischen Konzept werden Lehrer für den Unterricht in Slums und abgelegener Dörfern auf dem Lande ausgebildet. Der Kerngedanke ist, die Kinder nicht mit abstraktem Stoff aus dem Leben von Mittelstandsfamilien in der Hauptstadt ("Der Vater geht ins Büro") zu konfrontieren, sondern ihnen mittels Gegenständen, Beobachtungen und Themen aus ihrem Lebensalltag Lesen und Schreiben beizubringen.
Besonders stolz sind die Lehrer der Loreto Day School auf das Programm für die "Rainbow?Children", etwa 200 Jungen und Mädchen im Alter von 4 bis 10 Jahren, die allein oder mit ihren Eltern auf der Straße oder in Bahnhöfen leben. Deren Lehrerinnen sind nur wenig älter als sie selbst. Sie müssen in täglich wechselndem Turnus ein paar Stunden mit den Regenbogenkindern spielen und sie unterrichten ? obwohl sie selber noch zur Schule gehen.
Einer, den Sister Cyril vor zwei Jahren von der Straße in die Schule geholt hat, ist der heute elfjährige Mohamad Barik. Sein dem Alkohol verfallener Vater und die Mutter leben nicht weit von der Loreto Day School unter einer Plastikplane auf einem Gehsteig.
Mohamad entpuppte sich als Wunderkind: Der schmächtige Junge entwickelte einen solchen Ehrgeiz, daß er binnen zwei Jahren nicht nur den kompletten Stoff von sechs regulären Schuljahren, sondern auch noch fließend Englisch lernte. "Das erste, was wir den Kindern beibringen, ist das Denken", sagt Sister Cyril. "Wenn sie das können, stellt sich die Motivation oft von allein ein."
Der etwas schüchtern wirkende Mohamad, der Kricket, Fußball und Algebra liebt, ist stolz, daß er es geschafft hat: "Wenn ich weiter auf der Straße geblieben wäre, müßte ich jetzt vom Betteln leben. Nun aber werde ich sicher einen guten Job bekommen und ein großer Mann werden." Zumindest wird er nicht zu jenen gehören, die ihr ärmliches Leben auf einer Pritsche in Mutter Teresas Sterbehaus aushauchen.

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Cicero
Februar 2010
Guantánamo schließen - jetzt erst recht
© Volker Skierka
Die Reise ins Jenseits der Demokratie führte mich im Januar 2004 mitten hinein in eine militärische Version der „Truman Show“, jener Filmsatire von Peter Weir, in der ein ahnungsloser und gutgläubiger Kleinbürger zum Opfer einer Heile-Welt-Fernsehshow wird. In meinem Fall war das Pentagon der Regisseur der „Show“, die freilich keine Satire war, sondern blutiger Ernst. Schauplatz war der US-Marinestützpunkt Guantanamo Bay auf Kuba [...]
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NEUE ZÜRCHER ZEITUNG
9./10. August 2008
Kuba wartet auf seine Zukunft
Keine Aufbruchstimmung trotz angekündigter Veränderungen
Von Volker Skierka
Seit Raúl Castro vor zwei Jahren von seinem Bruder Fidel die Macht übernahm, sind in Kuba manche Veränderungen angekündigt und eingeleitet worden. Das Hauptproblem liegt in der Landwirtschaft, die dringend angekurbelt werden muss. Obwohl Kritik offener ausgedrückt wird, ist in der Bevölkerung keine Aufbruchstimmung spürbar.

Kuba wartet. Auf den Überlandbus, der selten kommt. Auf den alten sowjetischen Lastwagen, der mit einigen Dutzend Mitfahrern auf der Ladefläche über Strassen voller Schlaglöcher rumpelt. Auf den ausländischen Touristen mit dem komfortablen Mietwagen, bei dem ein Einheimischer sogar umsonst mitfahren kann. Oder einfach nur auf die einspännige und bunt geschmückte Pferdekutsche, die gemütlich durch den Ort trabt und Eilige ausbremst. Fröhlich und freundlich, hoffnungsvoll und optimistisch, mitunter auch erschöpft, resigniert und erloschen wartet ein ganzes Volk mit scheinbar grenzenloser Geduld jeden Tag in langen Schlangen und dicken Menschentrauben an den Strassenrändern und Weggabelungen darauf, irgendwohin mitgenommen zu werden, zur Arbeit, zu Verwandten, in die nächste Stadt – oder in ein anderes Leben... [...]
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DER TAGESSPIEGEL
13. Dezember 2008
Die Freiheit des anderen
Exilkubaner gegen Kuba – ein Terrorkampf seit Jahrzehnten. Mit Barack Obama kommt nun auch die Hoffnung auf Besserung
Von Volker Skierka
Sie werden die „Osama bin Ladens des Westens“ genannt. Luis Posada Carriles und Orlando Bosch zählen zu den gefährlichsten Terroristen der Welt. Unter den Veteranen von ihnen mitbegründeter exilkubanischer Terrornetzwerke wie „Alpha 66“, „Omega 7“, „CORU“, „El Condor“ und „Comando L“ genießen die beiden einen zweifelhaften Helden- und Kultstatus. In jenen Kreisen gelten sie als „gute“ Terroristen, weil sie über Jahrzehnte von Florida und Mittelamerika aus – immer wieder auch als feste wie freie Mitarbeiter der CIA – das Kuba der Brüder Fidel und Raúl Castro und von deren Freunden bekriegt haben. In die Hunderte geht die Zahl der im letzten halben Jahrhundert von ihnen und ihren Gesinnungsgenossen in zahlreichen Ländern, aber auch innerhalb der USA verübten, verantworteten oder zugeschriebenen Bombenanschläge, Attentate und Sabotageakte mit Explosiv- und biologischen Kampfstoffen sowie die Anzahl der menschlichen Kollateralschäden an Toten, Verletzten und Invaliden. [...]
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DIE ZEIT - Online
19. Februar 2008
Modell Kuba
Die neue Führung nach der Ära Castro wird wahrscheinlich reformbereit sein. Seine Machtelite jedoch wird versuchen, ihre Pfründe zu wahren
Von Von Volker Skierka
Es ist, als wäre er gestorben. Kaum jemand in der Welt konnte sich vorstellen, dass die Ära Fidel Castro anders zu Grabe getragen würde als in einem Sarg. Nun aber fand dies in Form der schlichten Mitteilung statt, er gebe seine Staatsämter auf.
Es passt irgendwie zu ihm, dass er seinen Abgang so inszeniert, dass er ihn auch noch selbst erleben darf. Aber vor allem auch, weil er so noch bestimmen kann, wer ihm folgt. Und das ist aller Wahrscheinlichkeit nach sein Bruder Raúl, der als Erster Vizepräsident schon seit anderthalb Jahren die Amtsgeschäfte des kranken Máximo Líder kommissarisch wahrgenommen hat.
Wenn die 624 Abgeordneten der gerade neugewählten kubanischen Nationalversammlung wie geplant am Sonntag zusammentreten und den 31-köpfigen Staatsrat, mithin praktisch die künftige Staatsführung wählen, dann dürfte der jüngere Bruder der einzige Kandidat für die Nachfolge des Staatspräsidenten sein.
Spannend an dem Ritual wird sein, wie dieser Staatsrat sonst zusammengesetzt sein wird, wer den Ministerrat bildet. Wer also jene Leute sind, die das schwierige Erbe des großen Caudillo übernehmen... [...]
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Hamburger Abendblatt,
2. März 2007
Hamburg ist nicht der Kongo
Von Volker Skierka
Was unterscheidet Hamburg vom Kongo? Und was den kongolesischen Staatspräsidenten Generalmajor Joseph Kabila von dem Hamburger SPD-Kreisvorsitzenden und Major der Reserve Johannes Kahrs (übrigens tragen beide die gleichen Initialen J. K. im Namen)? Sehr viel. Deshalb lohnt der Vergleich. Im Kongo haben voriges Jahr Kahrs' Bundeswehr-Kameraden im Auftrag der Uno für einen recht ordentlichen Ablauf der Präsidentenwahl gesorgt. In Hamburg ist hingegen etwas passiert, was man bisher nur aus Ländern wie dem Kongo kannte: Erst hat der Kreisfürst und Bundestagsabgeordnete Kahrs - Mitglied des Männerbundes Wingolf sowie des Präsidiums des Förderkreises Deutsches Heer - einen Putsch gegen sein Parteioberhaupt Mathias Petersen inszeniert.
Dann, als das Opfer sich nicht so einfach meucheln ließ, half eine manipulierte Wahl nach. Deren Ausgang erfüllte schließlich das Ziel: Der Kopf ist ab... [...]
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Der Tagesspiegel
5. August 2006
Revolutionär von der traurigen Gestalt
Fidel Castros Abschied von der Macht: Die Götterdämmerung hat längst eingesetzt. Und was kommt dann?
© Volker Skierka
Auf dem Sterbelager diktiert der große Freiheitskämpfer eine bittere Erkenntnis in sein Testament: „Wer sich der Revolution verschreibt, pflügt das Meer“, sagt er und prophezeit: „Dieses Land wird unweigerlich in die Hände einer enthemmten Masse geraten, um dann an verkappte kleine Tyrannen aller Farben und Rassen zu fallen.“ Diese letzten Worte von Simón Bolívar (1783-1830), dem Befreier Südamerikas von der spanischen Krone, finden sich in dem Roman „Der General in seinem Labyrinth“ von Gabriel García Márquez. Bei der Lektüre drängt sich der Verdacht auf, dass der Autor aber nicht nur Simón Bolívar, sondern auch seinen langjährigen Freund, den kubanischen Staatschef Fidel Castro vor Augen hatte.

Der ist so schwer erkrankt, dass er Anfang der Woche vor einer bedrohlichen Darmoperation die Macht „vorübergehend“ an seinen Bruder Raúl übertrug. Höhepunkt eines in den letzten Jahren zunehmend sichtbareren gesundheitlichen Verfalls des Máximo Líder. Damit stellen sich die Fragen nach der Zukunft der Tropeninsel drängender denn je zuvor... [...]
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B26 Europa/Lateinamerika
Feb. 2006
Zeitschrift für Kultur, Wirtschaft, Politik/ Revista de Cultura, Economía, Política
Mit Castros Tod kann die Repression auf Kuba zunehmen
Interview mit Volker Skierka
Von Guillem Sans
(Para la version espagnola: click Menü / Texte / Archiv)

Auszug:

Wie sehen Sie die Zukunft des Landes nach dem Tod des Máximo Líder?
Ich bin sehr besorgt über die Aussichten. Die amerikanische Politik ist bekannt. Mit Bush hat sich das Verhältnis eher noch verschärft. Andererseits hat man einen kleinen Spalt im Helms-Burton-Gesetz geöffnet. Unter dem Label „humanitäre Hilfe” sind seit Jahren enorme Lebensmittellieferungen nach Kuba möglich. Es ist so, dass die Kubaner jedes Jahr mittlerweile für zwischen 400 und 500 Millionen Dollar Lebensmittel gegen Barzahlung in den USA einkaufen. Das ist das Resultat einer unermüdlichen Lobbyarbeit der – eher republikanisch orientierten – amerikanischen Landwirtschaft und Lebensmittelindustrie – zum Ärger der Europäer.

Was können europäische Diplomaten tun?
Die Beziehungen zu Europa sind praktisch komplett eingefroren. Es gibt weder ein amerikanisches noch ein bekanntes europäisches Konzept für das postcastristiche Kuba. Das einzige, was man von offizieller kubanischer Seite weiß, ist, dass Raúl Castro, der fünf Jahre jüngere Bruder, die Nachfolge antreten soll, und zwar nicht als Einzelherrscher, sondern als primus inter pares. Aber Fidel Castro greift neuerdings auch jenes Wirtschaftskonzept an, mit dem Kuba in den letzten zehn Jahren eigentlich ganz gut gefahren ist. So liegt jetzt alles wieder im Dunkeln.

Wie schätzen Sie den Strategiewechsel der Europäer ein?
Die Europäer haben ja den Versuch gemacht, und zwar ausgehend von Spanien, im vorigen Frühjahr die Frostperiode zu beenden, indem sie Lockerungen in den Beziehungen in Aussicht gestellt haben. Und als man nach einigen Vorsondierungen glaubte, jetzt käme man mit den Kubanern auf offizieller Ebene wieder ins Gespräch, hat Castro das ja brüsk unterbunden. Er hat sich sogar darüber lustig gemacht, die Regierung Zapateros in Spanien düpiert und gesagt, er brauche weder Europa noch die USA. Das mag für ihn gelten, aber wie soll es nach ihm für die Kubaner weitergehen? Er sollte froh sein, dass die Europäische Union sich um Kuba mehr zu sorgen scheint als die USA, die nur das Geschäft sehen.

Stillstand also...
…und Rückschritt: für das kubanische Volk eine desaströse Situation. ... [...]
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Der Tagesspiegel
27.02.2005
Guantánamo III
Stacheldraht im Kopf
In Guantánamo sitzen zurzeit 550 Häftlinge: ein rechtsfreier Raum, ein Desaster für die Demokratie. Und alle reden von Bushs Charme-Offensive
© Volker Skierka
Im Jahr 1874 meldete der Farmer J.F. Glidden aus Illinois eine Erfindung zum Patent an, welches die Tier- und später auch die Menschenhaltung revolutionieren sollte: den Stacheldraht. Seither erobert der mit spitzen Zacken versehene gezwirbelte Draht die Welt. Was ursprünglich dafür gedacht war, große Viehherden zusammenzuhalten, ist heute eine der effizientesten – und preiswertesten – Defensivwaffen der Menschheit.

Seine harmloseste Verwendung findet der Stacheldraht bei der Abwehr von Einbrechern, sein grausamster Einsatz spiegelt sich in den Bildern der Kriegsfotografie und denen der Konzentrationslagern der Nationalsozialisten – als Umzäunung von Gefangenenlagern und tödlichen Minenfeldern. Nach dem Zweiten Weltkrieg trennte er als Eiserner Vorhang Ideologien und Völker, in Sechzigern Polizisten von Demonstranten und bis heute weltweit Militärkasernen, staatliche Einrichtungen und Amtsträger vor verdächtigen Bürgern. Seit den Terroranschlägen vom 11. September hat es den Anschein, als werde der ganze Erdball allmählich eine Stacheldrahtkugel, der Reisefreiheit und den offenen Grenzen in der globalisierten Welt zum Trotz. Die fortschreitende Vernetzung der Bürger geht einher mit einem Verlust ihrer Bewegungsfreiheit... [...]
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DER TAGESSPIEGEL, Dritte Seite
26.01.2004
Guantánamo II
Wo endet das Recht?
Hunderte von „Terroristen“ sitzen in einem US-Lager weitab von der Welt – ein Besuch in Guantanamo Bay auf Kuba
© Volker Skierka
Die Farbe Orange. Seit dem 11. September 2001 steht sie in Amerika für den Verlust von Freiheit. Als Synonym für ein Leben in ständiger Bedrohung. Bei Terroralarm der Stufe „Code Orange“ droht überall Gefahr. Und Reisen in den Zeiten von „Code Orange“ bedeutet: Jeder ist verdächtig. Doch als der Autor an einem Januarmorgen im Marinestützpunkt Jacksonville in Florida sein Ticket mit der Nummer „VS206804PRC000“ in die Hand gedrückt bekommt, weiß er, dass er keine Gefahr für die nationale Sicherheit der Vereinigten Staaten darstellt. Schon vor Wochen musste sich sein Name auf eine Odyssee durch die Computer des Pentagon sowie der US-Sicherheits- und Geheimdienste begeben, ehe er die Erlaubnis erhielt, auf dem Militärflug BLM3 mitreisen zu dürfen. „Allein neun Tage dauerte es, bis Ihre FBI-Überprüfung vorlag“, wird ihm später jemand verraten. „Checked and cleared“, und „embedded“ in die von ihm unterschriebenen Verhaltensregeln der Public-Relations-Abteilung des US-Verteidigungsministeriums ist er schließlich unterwegs an ein für gewöhnliche Reisende verbotenes Ziel... [...]
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DER TAGESSPIEGEL
22.04.2002
Guantanamo I
Was tun die Yankees auf Kuba?
© Volker Skierka
Das knusprig-braune und fettglänzende Brathuhn, das der kubanische Kellner serviert, weckt nostalgische Erinnerungen an den legendären Gold-Broiler zu DDR-Zeiten. Um so mehr, weil der Blick vom Mittagstisch direkt auf eine Grenzanlage fällt, die dem „antifaschistischen Schutzwall“ ähnelt, welcher einst die Erde in ideologisch verfeindete Hälften dividierte. Minenfelder, Panzersperren, Stacheldrahtverhaue, Bunker, elektronische Sicherungsanlagen, Patrouillenwege, Wachtürme sind von dem über 400 Meter hoch gelegenen Aussichtspunkt „Los Malónes“ aus zu sehen. Dazwischen ein einsamer Grenzübergang, überragt von zwei Fahnenmasten. An dem diesseits flattert die kubanische Flagge, an jenem drüben die der Vereinigten Staaten von Amerika. „Drüben“, das ist der US-Flottenstützpunkt Guantánamo. Er ist 117,5 Quadratkilometer groß und liegt auf kubanischem Territorium. Uncle Sam, Fidel Castros Klassenfeind, hat ihn sich vor 99 Jahren angeeignet. [...]
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