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Castro - Graphic Novel / Comic
von Reinhard Kleist, mit einem Vorwort von Volker Skierka
280 Seiten, Hardcover, farbig, Deutschland: € 16,90 / Oesterreich: € 17,40 / Schweiz: sFr 30,90, Erscheinungsdatum: 1. Oktober 2010, Carlsen Verlag, ISBN 978-3-551-78965-5
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Marta Feuchtwanger Copyright Volker Skierka
Ein Don Quijote gegen Dummheit und Gewalt
Einstündiges Radio-Feature von Volker Skierka für NDR-Kultur aus Anlass des 50. Todestages am 21. Dezember 2008 und des 125. Geburtstages des deutsch-jüdischen Schriftstellers Lion Feuchtwanger am 7. Juli 2009 sowie ein Gespräch mit dem Schriftsteller und Literaturexperten Prof. Fritz J. Raddatz.

Der Freund und Weggefährte von Bertolt Brecht, Heinrich und Thomas Mann, Arnold Zweig sowie anderen literarischen Zeitgenossen zählte zu den ersten, den die Nationalsozialisten nach der Machtergreifung Hitlers ausbürgerten. 1933 zog der Verfasser historischer Romane wie „Jud Süß“, „Erfolg“, „Der jüdische Krieg“ und „Goya“ zunächst nach Sanary-sur-mer an der französischen Mittelmeerküste. 1940, nach dem Überfall Deutschlands auf Frankreich, mußte er er unter dramatischen Umständen in die USA fliehen. „Die Dummheit der Menschen ist weit und tief wie das Meer“, schrieb er 1933 in einem Brief an Zweig. Seine Arbeit widmete der linksbürgerliche Romancier dem – vergeblichen - Kampf der Vernunft gegen Dummheit und Gewalt. Volker Skierka, Journalist und Biograf Feuchtwangers, zeichnet dessen Leben anhand von Dokumenten, Interviews und – bislang unveröffentlichter - Tonbandaufnahmen zahlreicher Gespräche nach, die der Autor einst mit Feuchtwangers Witwe Marta und seiner Sekretärinnen Lola Sernau führte.
(Mehr unter Menüpunkten "Publikationen / Lion Feuchtwanger" sowie "Villa Aurora")

Konzentrationslager Birkenau (Auschwitz). - Text und Fotos: Volker Skierka
Weiße Flecken, dunkle Geschichte
Aus: Der Tagesspiegel, 20. Jan. 2006

80 Jugendliche, Deutsche und Polen, auf der Suche nach der Wahrheit, die die Nazis unterdrückt haben. Versuch einer Versöhnung

Alles ist wie in Watte gebettet. Der Schnee liegt hoch, die Bäume und der doppelte Stacheldrahtzaun sind weiß überpudert. In klirrender Kälte passieren die polnischen Germanistik-Studentinnen Kasia Król und Maria Mrówca das weit geöffnete Tor unter dem Schriftzug „Arbeit macht frei“. Es ist früh am Tag. Man ist allein im ehemaligen Menschen-Vernichtungslager Auschwitz und Birkenau. Stumm, in sich gekehrt und ziellos gehen die jungen Frauen durch die einsamen Lagerstraßen, stehen in einer der ehemaligen Gefangenen-Unterkünfte plötzlich vor einer 20 Meter langen Glaswand, hinter der zwei Tonnen Menschenhaar liegen. Es konnte wegen der Befreiung des KZs nicht mehr an die Textilindustrie geliefert werden.

Kasia, die große, schlanke Dunkelhaarige, ist 21 Jahre alt, Maria, etwas kleiner und blond, ist 23. Ihre Gesichter sind wie versteinert. Draußen sagt Kasia nur: „Wenn man daran denkt, dass viele der Täter und der Opfer in unserem Alter waren …“ Dann nimmt Maria den Faden auf und sagt: „Ich glaube, es ist wichtig für die Deutschen, dass Menschen anderer Nationen mit ihnen darüber sprechen.“
In dem massiven roten Backsteinbau mit der Nummer 24, wo das Archiv jenes Ortes untergebracht ist, haben Kasia und Maria mit drei Kommilitoninnen und einem Kommilitonen von der Universität des 60 Kilometer entfernten Krakau mit einem einzigartigen deutsch-polnischen Geschichtsprojekt begonnen.

Die Studenten forschten nach Lücken und Manipulationen in der seit dem Überfall Hitlers auf Polen 1939 gleichgeschalteten Lokalpresse. Diese „weißen Flecken“ in der offiziellen Berichterstattung, versuchten die Studenten 60 Jahre nach Kriegsende mit Wahrheiten zu füllen. „Hunderte von dicken Bänden, Tagebücher und Dokumente, liegen hier“, sagen sie. „Wir haben einfach einige herausgegriffen, darin geblättert und gelesen. Das war der Anfang.“
Herausgekommen ist dabei aber nicht eine neue Arbeit über den Massenmord von Auschwitz, sondern eine Untersuchung über ein nahezu unbekanntes Thema – über den damals weitverzweigten und oft tödlichen Widerstand der gut organisierten polnischen Pfadfinderbewegung und deren Untergrundpresse im Raum Krakau...
(Klicken Sie oben links im Menü auf "Texte" und lesen Sie weiter)

Volker Skierka: "Armin Mueller-Stahl - Begegnungen. Eine Biografie in Bildern."
216 Seiten gebunden, €39,90, erschienen im Oktober 2002 im Knesebeck Verlag München, ISBN 3-89660-139-3
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  E-Mail an Volker Skierka
 
TEXT Strampelnd durch deutsche Vergangenheit

DDR-Transit per Fahrrad: 16 Stunden im grünen Tunnel
Strampelnd durch deutsche Vergangenheit
 
Eine Tour von Berlin nach Lauenburg, vorbei an historischen Stätten, läßt die Teilung des Landes besonders schmerzlich bewußt werden
 
© Volker Skierka
Süddeutsche Zeitung Nr. 154, 7. Juli 1979


Lauenburg, im Juli
Der Osten ist rot hinter den Hochhäusern von Westberlin. Über dampfenden Wiesen und dem Havelkanal schiebt sich glühend die Sonne wie ein gewaltiger Feuerball über den Horizont. Es ist Sonntag, kurz nach vier Uhr morgens, am DDR-Grenzübergang Berlin-Staaken. Hier beginnt die Fernstraße 5, Transitstrecke von Berlin nach Hamburg.
Hinter uns senkt sich der rotweiße Schlagbaum. Es geht los. Langsam anfahren im dritten Gang. Schalten nach ein paar Metern. Vierter Gang. Reisegeschwindigkeit. Fast lautlos surren die Räder übers Pflaster. Bald haben wir 15, 20, 25 Kilometer pro Stunde ''drauf''. Unsere Fahrzeuge sind ein orangefarbenes, englisches Fünf-Gang-Rennrad mit großen 28-Zoll-Reifen und ein knallgelbes Fahrrad für zwei Personen in Rennausführung. Und wir, das sind außer mir ein britischer Kollege von der Rundfunkgesellschaft BBC und seine Frau - Mark und Jutta. Freunde haben uns schlicht für verrückt erklärt, als wir von unserem Plan berichteten, an einem Tag mit dem Fahrrad 240 Kilometer von West-Berlin durch die DDR in die Bundesrepublik zu strampeln. Schließlich ist bekannt, daß Journalisten als Büro- und Kneipenhocker die denkbar schlechtesten Voraussetzungen mitbringen, um plötzlich als Athleten zu brillieren: 240 Kilometer, das sind schließlich 240 000 Meter, das sind für jedes Rad rund 120 000 Umdrehungen.
Also warum? Weil man manchmal einen kaum zu bändigenden Drang verspürt, rauszukommen aus Berlin, wo man sich beim Spazierengehen, beim Radfahren immer wieder den Kopf an der Mauer anstößt. Weil man einmal durch ein Loch in dieser Mauer hindurchradeln will auf die andere Seite, durch diese herrliche, unbekannte Landschaft der alten Mark Brandenburg, in deren Mitte man lebt, eingemauert auf der ''Insel der freien westlichen Welt''. Wenn man mit dem Auto mal eben rüberfährt nach Westdeutschland, nimmt man es nämlich kaum noch wahr, dieses andere Deutschland, das Deutschland Theodor Fontanes.
Selten aber wird einem auch die Spaltung Deutschlands so schmerzlich bewußt wie bei einer solchen Radtour - von Deutschland durch Deutschland nach Deutschland. Es ist verboten, als Transitreisender die Strecke zu verlassen, verboten, einen Abstecher zu machen in diese frische Natur, die historischen Orte, verboten, sich irgendwo abseits ins Heu zu legen, um auszuruhen. Es ist verboten, beim Durchqueren der Ortschaft vom Rad abzusteigen, Kirchen, Rathäuser zu besichtigen, in eines- Gaststätte einzukehren, in Läden etwas einzukaufen. Es ist verboten, mit Leuten aus der Bevölkerung Kontakt aufzunehmen. Nur geradeaus fahren darf man. Umkehren ist auch verboten, und die Strecke muß bei Tageslicht zurückgelegt werden. Vor Sonnenuntergang muß die andere Seite erreicht sein. Es ist eine Fahrt durch einen grünen Tunnel, beinahe wie in einer Märchenwelt, in der man fremd ist, nichts anfassen kann und darf. Und deshalb bekommt man auch auf einer solchen Radtour keine echte Beziehung zu dem ''neuen Deutschland'', zur Deutschen Demokratischen Republik. Man bekommt das Gefühl, auf der Suche nach der Vergangenheit der Generation unserer Eltern zu sein.
So ist die F 5 mit Sicherheit eine der ungewöhnlichsten, packendsten Fahrrad-Routen der Welt. Sie ist zugleich die einzige Transitstrecke ins Bundesgebiet, die mit dem Fahrrad benutzt werden darf. Nach Auskunft eines Grenzbeamten wird sie immerhin manchmal sogar von drei Radlern pro Tag benutzt. Das sind ein paar hundert Idealisten oder Neugierige im Jahr, bei jährlich insgesamt 18 Millionen Transitreisenden von und nach Westberlin. Doch lange gibt es auch das nicht mehr. wenn Anfang der achtziger Jahre etwas weiter nördlich. die neue Transitautobahn nach Hamburg fertig ist, wird die F 5, für den Durchreiseverkehr und somit auch für die Radfahrer geschlossen, dann wird auch diese Straße zu einem Stück deutsch-deutscher Geschichte.
Bevor es soweit ist, wollten wir dieses Erlebnis einer DDR-Durchquerung per Fahrrad mit allen Freuden und Leiden auskosten. So halten sich denn beim Start auch Optimismus und Begeisterung einerseits mit Sorgen und Ängsten andererseits die Waage. Während wir die ersten Meter jenseits der Grenze zurücklegen, müssen wir uns ständig jener Freunde erinnern, die uns ausmalten, wie wir nach 100 bis 150 Kilometern schlappmachen würden und von der Volkspolizei am Straßenrand aufgesammelt werden müßten. Und der Grenzbeamte eben in Staaken ahnte gar nicht, wie nahe uns seine scherzhaft gemeinte Frage ging: ''Haben Sie auch genug Luft?'' ''Wir hoffen, daß sie uns nicht ausgeht'', witzelten wir zurück mit einer Art Galgenhumor, den man haben sollte auf solch einer Reise.
Aber kaum sind wir vorbeigezogen an den schmunzelnden DDR-Grenzern und den Blicken der Wachtposten in den Beobachtungstürmen entlang des häßlichen, das Havelland grausam durchschneidenden Grenzstreifens entschwunden, tauchen wir ein in eine befreiende Idylle, die um diese Uhrzeit nur uns und den auf dem Pflaster herumhüpfenden Spatzen zu gehören scheint. Vorne eine unendliche Lindenallee, links und rechts eine sanfte hügelige Wiesenlandschaft, auf der schwer der Morgennebel liegt. Manchmal sind aus dem Dunst heraus nur die Baumkronen zu erkennen. Irgendwo krähen Hähne, und mit dem Fahrtwind weht uns der Duft von frischem Heu, Kamille und Harz in die Nase. Wir atmen tief ein - auch wenn mal eine geballte Ladung original Landluft dabei ist.
Bald tauchen am Straßenrand verrottete viersprachige Schilder in Russisch, Englisch, Französisch und Deutsch auf.. Photographieren verboten, Weitergehen verboten, es wird geschossen. Militärisches Sperrgebiet. Es führt die Straße mitten durch eine schlafende Kaserne der Sowjetarmee, die 446 000 Mann in der DDR stationiert hat. Zur Nazi-Zeit, 1936, war hier das olympische Dorf. Die Gebäude sind ziemlich heruntergekommen. Aus den Fenstern hängt frischgewaschene Armeekleidung. An einem großen Tor wienert ein gelangweilter Wachtposten mit einem Putzlappen den goldenen, in der Morgensonne glänzenden Sowjetstern, während sich auf der anderen Seite ein sowjetischer Offizier mit seiner blonden Freundin engumschlungen an der Kasernenmauer entlangdrückt. .
Die ersten Werktätigen begegnen uns. Sie kommen von der Schicht. Müde und abgespannt hocken sie auf ihren Mopeds oder heulen, sich am Lenkrad ihres ''Trabis'', des DDR-Volkswagens, festhaltend, an uns vorbei. Ein uniformierter Bahnbeamter kommt uns entgegengeradelt, winkt freundlich,, ruft ein ''Guten Morgen'', blickt uns amüsiert nach. Vollklimatisierte Reisebusse aus Norddeutschland donnern uns entgegen, Richtung Berlin. Dahinter Traktoren, Bäuerinnen mit Milchkannen auf Fahrrädern. Wir durchqueren auf holperigem Kopfsteinpflaster die Kleinstadt Nauen. Nach 35 Kilometern taucht vor uns das winzige Dörfchen Ribbeck auf, das, eingebettet in einer Mulde, inmitten der Ribbecker Heide liegt. Fast jeder kennt Ribbeck aus seiner Schulzeit, hat die sieben Strophen des Gedichtes von Theodor Fontane auswendig gelernt: ''Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland, / ein Birnbaum in seinem Garten stand. . .''
Das Gedicht über jenen liebenswürdigen Herren, der die Kinder in der Umgebung mit den Früchten seines Birnbaumes versorgte und sich nach seinem Tod eine Birne ins Grab legen ließ, aus dem nach drei Jahren ein Baum emporwuchs und aus dem es wisperte: ''Wiste ne Beer?'' Das Gedicht endet mit den Zeilen: ''So spendet Segen noch immer die Hand / Des von. Ribbeck auf Ribbeck im Havelland.''
Und als wir einfahren in das verschlafene, niedliche Nest, glauben wir auf einmal, die Zeit sei zurückgedreht worden. Links am Straßenrand entdecken wir ein ''Restaurant zum Birnbaum'' mit einem großen Garten voller Birnbäume, gleich auf der anderen Seite, an der Ecke Hamburger Straße/Fontaneweg, ist das Theodor-Fontane-Clubhaus, und sogar eine Horde Kinder auf Fahrrädern mit Obstkörben auf dem Gepäckträger ist da, liefert sich mit uns ein kleines Wettrennen. Nur der Herr von Ribbeck fehlt noch. Und auf den Kirchhof gehen und gucken, ob da vielleicht. wirklich ein Birnbaum steht, dürfen wir nicht. Das ist nach den Transitbestimmungen verboten.
Hinter Ribbeck begegnen uns unablässig Polizeifahrzeuge, fahren Motorradstreifen in beiden Richtungen an uns vorbei oder beobachten uns vom Straßenrand aus, sich irgend etwas notierend. Durch eine leichte Hügellandschaft radelnd, vorbei an Weihern, unendlichen Getreide- und Kartoffelfeldern, über denen Bussarde kreisen, durch Wälder , und das ''Havelländische Luch'' fahrend, kommen wir nach Friesack, über das Theodor Fontane einst schrieb: ''Im Herzen von Mark Brandenburg liegt das Havelland, und im Herzen des Havellandes liegt das Ländchen Friesack. Ein Kern im Kern.'' ''Kernig'' ist für uns vor allem das Kopfsteinpflaster, die alten Fachwerkhäuser nehmen wir nur als zitternde Bilder wahr.

Verstoß in Kyritz an der Knatter
Nicht ganz 30 Kilometer hinter Friesack zweigt eine kleine Straße in das zwei Kilometer abseits der Transitstrecke liegende Örtchen Kampehl ab, in dessen Dorfkirche der unverweste runzelige Leichnam eines vor rund 300 Jahren verstorbenen Ritters namens Christian Friedrich von Kahlbutz ausgestellt ist. Er soll 1690 einen Schäfer erschlagen haben, aber nach einem ''Reinigungseid'' freigesprochen worden sein. Nach der Überlieferung soll er bei seinem Eid gesagt haben, wenn er lüge, möge Gott seinen Leichnam nicht verwesen lassen. Und so ist es dann gekommen. Selbst prominente Mediziner wie die Professoren Sauerbruch und Virchow vermochten dem Geheimnis nicht auf die Spur zu kommen. Aber auch hier dürfen wir nicht hin, sind die Transitvorschriften eine unsichtbare Barriere.
In Kyritz an der Knatter, wie die früher an einer knatternden Mühle vorbeifließende Jäglitz im Volksmund heißt, verstoßen wir gegen die Transitbestimmungen. Der Durst treibt uns in das Hotel ''Zum Priegnitzer''. Wir erfahren von einer Wandtafel neben dem Eingang, daß hier am 20. September 1945 der ehemalige KPD-Führer und spätere DDR-Präsident, Wilhelm Pieck, die demokratische Bodenreform verkündete. Drinnen erhalten wir, von einer Kellnerin als Westler ausgemacht, wortlos ein Glas Wasser und dürfen unsere Flaschen auffüllen.
In rasanter Berg-und-Tal-Fahrt geht es weiter, an verträumten Weihern und alten Bauernhöfen vorbei, die jetzt von den LPGs, den Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften unterhalten werden, durch die Altstadt von Perleberg bis zur Raststätte ''Quitzow'', der einzigen am Wege, in der Transitreisende einkehren können. Der Name Quitzow steht in der Geschichte der Mark Brandenburg für eine der übelsten Räuber- und Mörderbanden im Mitteleuropa des 14. und .15. Jahrhunderts, und auch Theodor Fontane hat sich in seinen ,,Wanderungen durch die Mark Brandenburg'' mit diesem finsteren Adelsgeschlecht befaßt. Zu einer Zeit, als die dem Burggrafen Friedrich von Hohenzollern als Lehen übereignete sandige und sumpfige Mark Brandenburg noch wegen ihrer Rückständigkeit als ''des heiligen römischen Reiches Erzstreusandbüchse'' verspottet wurde, kratzten die allesamt miteinander verschwägerten Herren von Quitzow, von Putlitz und von Rochow ihr Vermögen raubend, mordend und brandschatzend zusammen, terrorisierten die bäuerliche Bevölkerung. Über einige Nachfahren dieser Sorte Raubritter ist das Stoßgebet überliefert: ''Vor Köckeritz und Lüderitz, vor Krachten und vor Itzenplitz behüt' uns lieber Herre Gott.'' Noch heute gibt es in der DDR Ortsnamen, die an diese Mordbuben erinnern: Außer Quitzow findet man auf der Landkarte Quitzöbel, wo die Quitzows herkamen, und Putlitz, das auf dem Wege nach Schwerin liegt. Kehrt man heute in der Raststätte Quitzow ein, meint man, das Personal hier arbeite die Sünden der Vorfahren ab: Ein reichliches Mittagessen für drei Personen kostet ganze 15 Mark.
Während wir im vierten, fünften Gang durch diese weiten Alleen und die malerisch gelegenen Dörfer wie Grabow mit seinen uralten Fachwerkhäusern radeln und die Leute hier uns freundlich zuwinken oder aufmunternd, zulächeln, stellen wir fest, daß in diesem Sandkasten Preußens viel mehr vom alten Deutschland bewahrt werden konnte als im zubetonierten Westen des geteilten Landes. Mitunter fühlten wir uns um dreißig Jahre zurückversetzt in eine Zeit, als wir noch gar nicht auf der Welt waren: Auf der Landkarte sind auch noch viele alte Namen zu lesen wie Bredow, Segeletz, Granzow, Kunow, Kletzke, Schrepkow, Pritzwalk, Dannenwalde, Damelack, Krampfer, Kuhbier, Kuhsdorf, Kloddram, Großkrams, Saltleben, Quassel, Camin, Sargleben. Nur die Propagandatafeln am Wegesrand weisen uns zurück in die Gegenwart: ''Stärkt unser sozialistisches Vaterland'', ''Je stärker die sozialistische Staatengemeinschaft, desto sicherer der Frieden'' und ''Hier arbeitet ein hervorragendes Schrankenwärterkollektiv''
Hinter Quitzow ist es mit dem Genießen ziemlich bald vorbei, wird das Radeln mitunter sogar recht gefährlich. Pfeifend, aufheulend, donnernd und polternd ziehen die Wochenendurlauber in ihren Autos und die Versorgungslastwagen an uns vorbei, dunkle Abgaswolken auskotzend. Wenn die dicken Brummer nahen, heißt es, sich konzentrieren, ganz am Rand bleiben, nicht unsicher werden, wenn sie ganz dicht vor einem einscheren. Und wenn sie vorbei sind, den Lenker fest umklammern, den gewaltigen Sog ausbalancieren, damit man nicht auf die Straße geschleudert wird. Als wir eine Radarfalle entdecken, sind wir voller Schadenfreude, rufen einem grimmigen Berliner Autofahrer zu: ''Radfahren ist billiger.'' Dabei bin ich vor ein paar Monaten auf dieser Straße selber ''geblitzt'' worden und habe mich über die Geldbuße von 70 Mark geärgert. Aber heute wünschen wir manchmal, daß alle 50 Kilometer eine solche Falle aufgebaut sein möge, so unverantwortlich gebärden sich verhinderte Rennfahrer. Rund drei Dutzend toter Katzen und fast ebensoviele überfahrene Igel sehen wir auf dieser Strecke.
Je näher wir der Grenze kommen, um so länger werden auch die Pausen, das Tempo wird langsamer, selbst eine Reifenpanne vor dem ''Dauermilchwerk Karstädt'' ist eine willkommene Erholung. In Ludwigslust legen wir uns im Park am Platz der. Deutsch-sowjetischen Freundschaft für eineinhalb Stunden ins Gras. Von einer Seitenstraße gegenüber behält uns ständig der Fahrer eines roten Wartburg im Auge. Als wir fahren, startet auch er. Hinter Ludwigslust mit seinem alten Königsschloß, in dem heute die ''Arbeiter- und Bauerninspektion der DDR'' sitzt, und dem alten Kern mit restaurierten einstöckigen kleinen Häuschen kehren wir auf einem einsamen Hof bei einer Bäuerin ein, die uns aus ihrem Ziehbrunnen mit kühlem Wasser versorgt, uns ihre Hühner und Enten, ein Schaf und eine Kuh zeigt und die froh ist, daß sie mit jemandem reden kann.
Kurz vor Boizenburg, 15 Kilometer vor der Grenze, fahren wir mitten hinein in einen Gewitterregen. Die Strecke wird noch einmal hügelig. Im zweiten Gang keuchen wir hinter der Stadt einen Berg hinauf. Fünf Kilometer vor der Grenze ein Schlagbaum. Hier beginnt das Sperrgebiet, Niemandsland. Nur Transitreisende, Grenzpersonal und Personen mit besonderer Erlaubnis dürfen hier durchfahren. Im peitschenden Regen kommen wir in der Dämmerung mit hoher Geschwindigkeit bergab aus der DDR geschossen, vorbei an einem Trupp schwerbewaffneter Grenzsoldaten. Wir passieren die Ortschaft Vier und zählen laut weiter: ''Drei, zwei eins - null.'' Da sind wir an der schwerbewachten Grenze. ''Noch 150 Meter, dann sind Sie drüben. Dann haben Sie es geschafft'', sagt mitfühlend ein freundlicher DDR-Grenzposten, der die Pässe kontrolliert, und um 20 Uhr, nach 16 Stunden (elf Stunden Fahrzeit, fünf Stunden.Rast), sind wir in Lauenburg an der Elbe: naß und verschwitzt, mit schmerzenden Handballen, Ziehen in den Muskeln, zitternden Knien. Als die Sonne im Westen untergeht, schlagen wir uns in unserem Hotel den Bauch voll mit Bier, Matjesfilets, Bratkartoffeln, frischen Erdbeeren mit Schlagsahne und Vanilleeis.

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Cicero
Februar 2010
Guantánamo schließen - jetzt erst recht
© Volker Skierka
Die Reise ins Jenseits der Demokratie führte mich im Januar 2004 mitten hinein in eine militärische Version der „Truman Show“, jener Filmsatire von Peter Weir, in der ein ahnungsloser und gutgläubiger Kleinbürger zum Opfer einer Heile-Welt-Fernsehshow wird. In meinem Fall war das Pentagon der Regisseur der „Show“, die freilich keine Satire war, sondern blutiger Ernst. Schauplatz war der US-Marinestützpunkt Guantanamo Bay auf Kuba [...]
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NEUE ZÜRCHER ZEITUNG
9./10. August 2008
Kuba wartet auf seine Zukunft
Keine Aufbruchstimmung trotz angekündigter Veränderungen
Von Volker Skierka
Seit Raúl Castro vor zwei Jahren von seinem Bruder Fidel die Macht übernahm, sind in Kuba manche Veränderungen angekündigt und eingeleitet worden. Das Hauptproblem liegt in der Landwirtschaft, die dringend angekurbelt werden muss. Obwohl Kritik offener ausgedrückt wird, ist in der Bevölkerung keine Aufbruchstimmung spürbar.

Kuba wartet. Auf den Überlandbus, der selten kommt. Auf den alten sowjetischen Lastwagen, der mit einigen Dutzend Mitfahrern auf der Ladefläche über Strassen voller Schlaglöcher rumpelt. Auf den ausländischen Touristen mit dem komfortablen Mietwagen, bei dem ein Einheimischer sogar umsonst mitfahren kann. Oder einfach nur auf die einspännige und bunt geschmückte Pferdekutsche, die gemütlich durch den Ort trabt und Eilige ausbremst. Fröhlich und freundlich, hoffnungsvoll und optimistisch, mitunter auch erschöpft, resigniert und erloschen wartet ein ganzes Volk mit scheinbar grenzenloser Geduld jeden Tag in langen Schlangen und dicken Menschentrauben an den Strassenrändern und Weggabelungen darauf, irgendwohin mitgenommen zu werden, zur Arbeit, zu Verwandten, in die nächste Stadt – oder in ein anderes Leben... [...]
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DER TAGESSPIEGEL
13. Dezember 2008
Die Freiheit des anderen
Exilkubaner gegen Kuba – ein Terrorkampf seit Jahrzehnten. Mit Barack Obama kommt nun auch die Hoffnung auf Besserung
Von Volker Skierka
Sie werden die „Osama bin Ladens des Westens“ genannt. Luis Posada Carriles und Orlando Bosch zählen zu den gefährlichsten Terroristen der Welt. Unter den Veteranen von ihnen mitbegründeter exilkubanischer Terrornetzwerke wie „Alpha 66“, „Omega 7“, „CORU“, „El Condor“ und „Comando L“ genießen die beiden einen zweifelhaften Helden- und Kultstatus. In jenen Kreisen gelten sie als „gute“ Terroristen, weil sie über Jahrzehnte von Florida und Mittelamerika aus – immer wieder auch als feste wie freie Mitarbeiter der CIA – das Kuba der Brüder Fidel und Raúl Castro und von deren Freunden bekriegt haben. In die Hunderte geht die Zahl der im letzten halben Jahrhundert von ihnen und ihren Gesinnungsgenossen in zahlreichen Ländern, aber auch innerhalb der USA verübten, verantworteten oder zugeschriebenen Bombenanschläge, Attentate und Sabotageakte mit Explosiv- und biologischen Kampfstoffen sowie die Anzahl der menschlichen Kollateralschäden an Toten, Verletzten und Invaliden. [...]
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DIE ZEIT - Online
19. Februar 2008
Modell Kuba
Die neue Führung nach der Ära Castro wird wahrscheinlich reformbereit sein. Seine Machtelite jedoch wird versuchen, ihre Pfründe zu wahren
Von Von Volker Skierka
Es ist, als wäre er gestorben. Kaum jemand in der Welt konnte sich vorstellen, dass die Ära Fidel Castro anders zu Grabe getragen würde als in einem Sarg. Nun aber fand dies in Form der schlichten Mitteilung statt, er gebe seine Staatsämter auf.
Es passt irgendwie zu ihm, dass er seinen Abgang so inszeniert, dass er ihn auch noch selbst erleben darf. Aber vor allem auch, weil er so noch bestimmen kann, wer ihm folgt. Und das ist aller Wahrscheinlichkeit nach sein Bruder Raúl, der als Erster Vizepräsident schon seit anderthalb Jahren die Amtsgeschäfte des kranken Máximo Líder kommissarisch wahrgenommen hat.
Wenn die 624 Abgeordneten der gerade neugewählten kubanischen Nationalversammlung wie geplant am Sonntag zusammentreten und den 31-köpfigen Staatsrat, mithin praktisch die künftige Staatsführung wählen, dann dürfte der jüngere Bruder der einzige Kandidat für die Nachfolge des Staatspräsidenten sein.
Spannend an dem Ritual wird sein, wie dieser Staatsrat sonst zusammengesetzt sein wird, wer den Ministerrat bildet. Wer also jene Leute sind, die das schwierige Erbe des großen Caudillo übernehmen... [...]
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Hamburger Abendblatt,
2. März 2007
Hamburg ist nicht der Kongo
Von Volker Skierka
Was unterscheidet Hamburg vom Kongo? Und was den kongolesischen Staatspräsidenten Generalmajor Joseph Kabila von dem Hamburger SPD-Kreisvorsitzenden und Major der Reserve Johannes Kahrs (übrigens tragen beide die gleichen Initialen J. K. im Namen)? Sehr viel. Deshalb lohnt der Vergleich. Im Kongo haben voriges Jahr Kahrs' Bundeswehr-Kameraden im Auftrag der Uno für einen recht ordentlichen Ablauf der Präsidentenwahl gesorgt. In Hamburg ist hingegen etwas passiert, was man bisher nur aus Ländern wie dem Kongo kannte: Erst hat der Kreisfürst und Bundestagsabgeordnete Kahrs - Mitglied des Männerbundes Wingolf sowie des Präsidiums des Förderkreises Deutsches Heer - einen Putsch gegen sein Parteioberhaupt Mathias Petersen inszeniert.
Dann, als das Opfer sich nicht so einfach meucheln ließ, half eine manipulierte Wahl nach. Deren Ausgang erfüllte schließlich das Ziel: Der Kopf ist ab... [...]
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Der Tagesspiegel
5. August 2006
Revolutionär von der traurigen Gestalt
Fidel Castros Abschied von der Macht: Die Götterdämmerung hat längst eingesetzt. Und was kommt dann?
© Volker Skierka
Auf dem Sterbelager diktiert der große Freiheitskämpfer eine bittere Erkenntnis in sein Testament: „Wer sich der Revolution verschreibt, pflügt das Meer“, sagt er und prophezeit: „Dieses Land wird unweigerlich in die Hände einer enthemmten Masse geraten, um dann an verkappte kleine Tyrannen aller Farben und Rassen zu fallen.“ Diese letzten Worte von Simón Bolívar (1783-1830), dem Befreier Südamerikas von der spanischen Krone, finden sich in dem Roman „Der General in seinem Labyrinth“ von Gabriel García Márquez. Bei der Lektüre drängt sich der Verdacht auf, dass der Autor aber nicht nur Simón Bolívar, sondern auch seinen langjährigen Freund, den kubanischen Staatschef Fidel Castro vor Augen hatte.

Der ist so schwer erkrankt, dass er Anfang der Woche vor einer bedrohlichen Darmoperation die Macht „vorübergehend“ an seinen Bruder Raúl übertrug. Höhepunkt eines in den letzten Jahren zunehmend sichtbareren gesundheitlichen Verfalls des Máximo Líder. Damit stellen sich die Fragen nach der Zukunft der Tropeninsel drängender denn je zuvor... [...]
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B26 Europa/Lateinamerika
Feb. 2006
Zeitschrift für Kultur, Wirtschaft, Politik/ Revista de Cultura, Economía, Política
Mit Castros Tod kann die Repression auf Kuba zunehmen
Interview mit Volker Skierka
Von Guillem Sans
(Para la version espagnola: click Menü / Texte / Archiv)

Auszug:

Wie sehen Sie die Zukunft des Landes nach dem Tod des Máximo Líder?
Ich bin sehr besorgt über die Aussichten. Die amerikanische Politik ist bekannt. Mit Bush hat sich das Verhältnis eher noch verschärft. Andererseits hat man einen kleinen Spalt im Helms-Burton-Gesetz geöffnet. Unter dem Label „humanitäre Hilfe” sind seit Jahren enorme Lebensmittellieferungen nach Kuba möglich. Es ist so, dass die Kubaner jedes Jahr mittlerweile für zwischen 400 und 500 Millionen Dollar Lebensmittel gegen Barzahlung in den USA einkaufen. Das ist das Resultat einer unermüdlichen Lobbyarbeit der – eher republikanisch orientierten – amerikanischen Landwirtschaft und Lebensmittelindustrie – zum Ärger der Europäer.

Was können europäische Diplomaten tun?
Die Beziehungen zu Europa sind praktisch komplett eingefroren. Es gibt weder ein amerikanisches noch ein bekanntes europäisches Konzept für das postcastristiche Kuba. Das einzige, was man von offizieller kubanischer Seite weiß, ist, dass Raúl Castro, der fünf Jahre jüngere Bruder, die Nachfolge antreten soll, und zwar nicht als Einzelherrscher, sondern als primus inter pares. Aber Fidel Castro greift neuerdings auch jenes Wirtschaftskonzept an, mit dem Kuba in den letzten zehn Jahren eigentlich ganz gut gefahren ist. So liegt jetzt alles wieder im Dunkeln.

Wie schätzen Sie den Strategiewechsel der Europäer ein?
Die Europäer haben ja den Versuch gemacht, und zwar ausgehend von Spanien, im vorigen Frühjahr die Frostperiode zu beenden, indem sie Lockerungen in den Beziehungen in Aussicht gestellt haben. Und als man nach einigen Vorsondierungen glaubte, jetzt käme man mit den Kubanern auf offizieller Ebene wieder ins Gespräch, hat Castro das ja brüsk unterbunden. Er hat sich sogar darüber lustig gemacht, die Regierung Zapateros in Spanien düpiert und gesagt, er brauche weder Europa noch die USA. Das mag für ihn gelten, aber wie soll es nach ihm für die Kubaner weitergehen? Er sollte froh sein, dass die Europäische Union sich um Kuba mehr zu sorgen scheint als die USA, die nur das Geschäft sehen.

Stillstand also...
…und Rückschritt: für das kubanische Volk eine desaströse Situation. ... [...]
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Der Tagesspiegel
27.02.2005
Guantánamo III
Stacheldraht im Kopf
In Guantánamo sitzen zurzeit 550 Häftlinge: ein rechtsfreier Raum, ein Desaster für die Demokratie. Und alle reden von Bushs Charme-Offensive
© Volker Skierka
Im Jahr 1874 meldete der Farmer J.F. Glidden aus Illinois eine Erfindung zum Patent an, welches die Tier- und später auch die Menschenhaltung revolutionieren sollte: den Stacheldraht. Seither erobert der mit spitzen Zacken versehene gezwirbelte Draht die Welt. Was ursprünglich dafür gedacht war, große Viehherden zusammenzuhalten, ist heute eine der effizientesten – und preiswertesten – Defensivwaffen der Menschheit.

Seine harmloseste Verwendung findet der Stacheldraht bei der Abwehr von Einbrechern, sein grausamster Einsatz spiegelt sich in den Bildern der Kriegsfotografie und denen der Konzentrationslagern der Nationalsozialisten – als Umzäunung von Gefangenenlagern und tödlichen Minenfeldern. Nach dem Zweiten Weltkrieg trennte er als Eiserner Vorhang Ideologien und Völker, in Sechzigern Polizisten von Demonstranten und bis heute weltweit Militärkasernen, staatliche Einrichtungen und Amtsträger vor verdächtigen Bürgern. Seit den Terroranschlägen vom 11. September hat es den Anschein, als werde der ganze Erdball allmählich eine Stacheldrahtkugel, der Reisefreiheit und den offenen Grenzen in der globalisierten Welt zum Trotz. Die fortschreitende Vernetzung der Bürger geht einher mit einem Verlust ihrer Bewegungsfreiheit... [...]
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DER TAGESSPIEGEL, Dritte Seite
26.01.2004
Guantánamo II
Wo endet das Recht?
Hunderte von „Terroristen“ sitzen in einem US-Lager weitab von der Welt – ein Besuch in Guantanamo Bay auf Kuba
© Volker Skierka
Die Farbe Orange. Seit dem 11. September 2001 steht sie in Amerika für den Verlust von Freiheit. Als Synonym für ein Leben in ständiger Bedrohung. Bei Terroralarm der Stufe „Code Orange“ droht überall Gefahr. Und Reisen in den Zeiten von „Code Orange“ bedeutet: Jeder ist verdächtig. Doch als der Autor an einem Januarmorgen im Marinestützpunkt Jacksonville in Florida sein Ticket mit der Nummer „VS206804PRC000“ in die Hand gedrückt bekommt, weiß er, dass er keine Gefahr für die nationale Sicherheit der Vereinigten Staaten darstellt. Schon vor Wochen musste sich sein Name auf eine Odyssee durch die Computer des Pentagon sowie der US-Sicherheits- und Geheimdienste begeben, ehe er die Erlaubnis erhielt, auf dem Militärflug BLM3 mitreisen zu dürfen. „Allein neun Tage dauerte es, bis Ihre FBI-Überprüfung vorlag“, wird ihm später jemand verraten. „Checked and cleared“, und „embedded“ in die von ihm unterschriebenen Verhaltensregeln der Public-Relations-Abteilung des US-Verteidigungsministeriums ist er schließlich unterwegs an ein für gewöhnliche Reisende verbotenes Ziel... [...]
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DER TAGESSPIEGEL
22.04.2002
Guantanamo I
Was tun die Yankees auf Kuba?
© Volker Skierka
Das knusprig-braune und fettglänzende Brathuhn, das der kubanische Kellner serviert, weckt nostalgische Erinnerungen an den legendären Gold-Broiler zu DDR-Zeiten. Um so mehr, weil der Blick vom Mittagstisch direkt auf eine Grenzanlage fällt, die dem „antifaschistischen Schutzwall“ ähnelt, welcher einst die Erde in ideologisch verfeindete Hälften dividierte. Minenfelder, Panzersperren, Stacheldrahtverhaue, Bunker, elektronische Sicherungsanlagen, Patrouillenwege, Wachtürme sind von dem über 400 Meter hoch gelegenen Aussichtspunkt „Los Malónes“ aus zu sehen. Dazwischen ein einsamer Grenzübergang, überragt von zwei Fahnenmasten. An dem diesseits flattert die kubanische Flagge, an jenem drüben die der Vereinigten Staaten von Amerika. „Drüben“, das ist der US-Flottenstützpunkt Guantánamo. Er ist 117,5 Quadratkilometer groß und liegt auf kubanischem Territorium. Uncle Sam, Fidel Castros Klassenfeind, hat ihn sich vor 99 Jahren angeeignet. [...]
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