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Castro - Graphic Novel / Comic
von Reinhard Kleist, mit einem Vorwort von Volker Skierka
280 Seiten, Hardcover, farbig, Deutschland: € 16,90 / Oesterreich: € 17,40 / Schweiz: sFr 30,90, Erscheinungsdatum: 1. Oktober 2010, Carlsen Verlag, ISBN 978-3-551-78965-5
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Marta Feuchtwanger Copyright Volker Skierka
Ein Don Quijote gegen Dummheit und Gewalt
Einstündiges Radio-Feature von Volker Skierka für NDR-Kultur aus Anlass des 50. Todestages am 21. Dezember 2008 und des 125. Geburtstages des deutsch-jüdischen Schriftstellers Lion Feuchtwanger am 7. Juli 2009 sowie ein Gespräch mit dem Schriftsteller und Literaturexperten Prof. Fritz J. Raddatz.

Der Freund und Weggefährte von Bertolt Brecht, Heinrich und Thomas Mann, Arnold Zweig sowie anderen literarischen Zeitgenossen zählte zu den ersten, den die Nationalsozialisten nach der Machtergreifung Hitlers ausbürgerten. 1933 zog der Verfasser historischer Romane wie „Jud Süß“, „Erfolg“, „Der jüdische Krieg“ und „Goya“ zunächst nach Sanary-sur-mer an der französischen Mittelmeerküste. 1940, nach dem Überfall Deutschlands auf Frankreich, mußte er er unter dramatischen Umständen in die USA fliehen. „Die Dummheit der Menschen ist weit und tief wie das Meer“, schrieb er 1933 in einem Brief an Zweig. Seine Arbeit widmete der linksbürgerliche Romancier dem – vergeblichen - Kampf der Vernunft gegen Dummheit und Gewalt. Volker Skierka, Journalist und Biograf Feuchtwangers, zeichnet dessen Leben anhand von Dokumenten, Interviews und – bislang unveröffentlichter - Tonbandaufnahmen zahlreicher Gespräche nach, die der Autor einst mit Feuchtwangers Witwe Marta und seiner Sekretärinnen Lola Sernau führte.
(Mehr unter Menüpunkten "Publikationen / Lion Feuchtwanger" sowie "Villa Aurora")

Konzentrationslager Birkenau (Auschwitz). - Text und Fotos: Volker Skierka
Weiße Flecken, dunkle Geschichte
Aus: Der Tagesspiegel, 20. Jan. 2006

80 Jugendliche, Deutsche und Polen, auf der Suche nach der Wahrheit, die die Nazis unterdrückt haben. Versuch einer Versöhnung

Alles ist wie in Watte gebettet. Der Schnee liegt hoch, die Bäume und der doppelte Stacheldrahtzaun sind weiß überpudert. In klirrender Kälte passieren die polnischen Germanistik-Studentinnen Kasia Król und Maria Mrówca das weit geöffnete Tor unter dem Schriftzug „Arbeit macht frei“. Es ist früh am Tag. Man ist allein im ehemaligen Menschen-Vernichtungslager Auschwitz und Birkenau. Stumm, in sich gekehrt und ziellos gehen die jungen Frauen durch die einsamen Lagerstraßen, stehen in einer der ehemaligen Gefangenen-Unterkünfte plötzlich vor einer 20 Meter langen Glaswand, hinter der zwei Tonnen Menschenhaar liegen. Es konnte wegen der Befreiung des KZs nicht mehr an die Textilindustrie geliefert werden.

Kasia, die große, schlanke Dunkelhaarige, ist 21 Jahre alt, Maria, etwas kleiner und blond, ist 23. Ihre Gesichter sind wie versteinert. Draußen sagt Kasia nur: „Wenn man daran denkt, dass viele der Täter und der Opfer in unserem Alter waren …“ Dann nimmt Maria den Faden auf und sagt: „Ich glaube, es ist wichtig für die Deutschen, dass Menschen anderer Nationen mit ihnen darüber sprechen.“
In dem massiven roten Backsteinbau mit der Nummer 24, wo das Archiv jenes Ortes untergebracht ist, haben Kasia und Maria mit drei Kommilitoninnen und einem Kommilitonen von der Universität des 60 Kilometer entfernten Krakau mit einem einzigartigen deutsch-polnischen Geschichtsprojekt begonnen.

Die Studenten forschten nach Lücken und Manipulationen in der seit dem Überfall Hitlers auf Polen 1939 gleichgeschalteten Lokalpresse. Diese „weißen Flecken“ in der offiziellen Berichterstattung, versuchten die Studenten 60 Jahre nach Kriegsende mit Wahrheiten zu füllen. „Hunderte von dicken Bänden, Tagebücher und Dokumente, liegen hier“, sagen sie. „Wir haben einfach einige herausgegriffen, darin geblättert und gelesen. Das war der Anfang.“
Herausgekommen ist dabei aber nicht eine neue Arbeit über den Massenmord von Auschwitz, sondern eine Untersuchung über ein nahezu unbekanntes Thema – über den damals weitverzweigten und oft tödlichen Widerstand der gut organisierten polnischen Pfadfinderbewegung und deren Untergrundpresse im Raum Krakau...
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Volker Skierka: "Armin Mueller-Stahl - Begegnungen. Eine Biografie in Bildern."
216 Seiten gebunden, €39,90, erschienen im Oktober 2002 im Knesebeck Verlag München, ISBN 3-89660-139-3
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  E-Mail an Volker Skierka
 
TEXT Lebensläufe - Lion und Marta Feuchtwanger (1884-1958 und 1893-1987), ''Exil''

Lebensläufe - Lion und Marta Feuchtwanger (1884-1958 und 1893-1987), ''Exil''
 
 
© Volker Skierka
Sonderdruck aus: Geschichte und Kultur der Juden in Bayern. Lebensläufe, hg. von Manfred Treml und Wolf Weigang unter Mitarbeit von Evamaria Brockhoff, 1988


''Die Stadt zählte im letzten Jahr, das der Schriftsteller L.F. in ihr verbrachte, 137 Begabte, 1012 über Mittelmaß, 9002 normal, 537 284 unternormal Veranlagte und 122 963 Voll-Antisemiten. Es beweist die ungewöhnliche Vitalität des Schriftstellers L.F., daß er in der Luft dieser Stadt 407 263 054 Atemzüge tun konnte, ohne an seiner geistigen Gesundheit erkennbaren Schaden zu nehmen'', schrieb mit bitterer Ironie der Schriftsteller Lion Feuchtwanger über seine Heimatstadt München. Nach 40 Jahren kehrte er ihr den Rücken und zog 1925 mit seiner 34jährigen Frau Marta nach Berlin. Eine Reihe ihrer Freunde, die zu den führenden und einfallsreichsten Köpfen der Literatur- und Theaterszene gehörten, hatte die einst geliebte Stadt bereits verlassen. Das geistige Klima war in den vorangegangenen Jahren immer bedrückender, engstirniger geworden. Die Nationalsozialisten, und mit ihnen ein klerikal-kleinbürgerlicher Antisemitismus, machten sich breit. Der damals 27jährige Bertolt Brecht, für den Feuchtwanger Freund und Mentor war, hatte die beiden überredet, ihm in die Reichshauptstadt zu folgen, wo das Klima für kritische Geister noch freier war.
Lion Feuchtwanger war am 7. Juli1884 in München als Sohn jüdischer Eltern geboren worden und am St. Anna Platz aufgewachsen. Er war das älteste von neun Kindern. Die Familie zählte zum Münchner Großbürgertum. Ihr Wohlstand kam zum einen aus dem Ertrag einer Margarinefabrik, die Lion Feuchtwangers Vater von seinem Vater übernommen hatte, und zum anderen stammte die Mutter Johanna Bodenheimer aus einem wohlhabenden Elternhaus. Feuchtwangers Vorfahren hatten im mittelfränkischen Feuchtwangen gelebt, von wo sie 1555 bei Judenverfolgungen nach Fürth bei Nürnberg vertrieben worden waren. Feuchtwangers Vater war von dort nach München gekommen. In der großen Wohnung am St. Anna Platz ging es streng jüdisch zu. ''Meine Eltern hielten darauf, daß ich die umständlichen, mühevollen Riten rabbinischen Judentums, die auf Schritt und Tritt ins tägliche Leben eingreifen, minuziös befolgte.(...) Auch mußte ich mich unter der Leitung eines Privatgelehrten täglich mindestens eine Stunde dem Studium der hebräischen Bibel und des aramäischen Talmuds widmen''. Die strenge Erziehung der Kinder im jüdischen Glauben wurde begleitet von einem im Hause Feuchtwanger herrschenden Klima geistiger und religiöser Toleranz. Der Vater brachte Lion Feuchtwanger insbesondere Lessings ''Nathan der Weise'' nahe, der die Gleichwertigkeit der Religionen lehrt. Gleichwohl hatte Feuchtwanger kein gutes Verhältnis zu seinem Elternhaus, insbesondere war die Beziehung zu seiner offenbar der Familie gegenüber sehr kühlen Mutter gestört.
So ging Lion Feuchtwanger früh eigene Wege. Nach dem Abitur im Jahr 1903 und der Immatrikulation an der Königlichen Ludwig-Maximilians-Universität verließ er fluchtartig den St. Anna Platz und mietete sich in einer unwirtlichen Dachwohnung ein. Er studierte Philologie, Philosophie, Literaturwissenschaft und Geschichte, bestand seine Examina mit Auszeichnung und schrieb als Dissertation eine kritische literaturhistorische Studie über Heinrich Heines Fragment ''Der Rabbi von Bacherach''. Dabei setzte sich Feuchtwanger erstmals gründlich mit einem historischen Komplex auseinander, der später wiederholt in seinen Aufsätzen, Stücken und Romanen auftauchte, den er hautnah am eigenen Leib und an der eigenen Seele zu spüren bekommen sollte und der ihn bis zu seinem Tod nicht los ließ: Es ist das wechselvolle Schicksal der Juden, die in der Geschichte sich wiederholenden Erhöhungen, Erniedrigungen, Verfolgungen, Pogrome, die das selbstbewußte Volk durch die Jahrtausende begleiteten. In Feuchtwangers frühen Arbeiten liegen die Wurzeln seiner stets wiederkehrenden Darstellung des immerwährenden Kampfes einer vernünftigen Minderheit gegen eine gewaltbereite Majorität der Masse und Dummheit.
Während der Arbeit an einer Habilitationsschrift über ''Die Anfänge des deutschen Journalismus'' entschloß er sich, auf die ihm angeratene wissenschaftliche Laufbahn zu verzichten. Er wurde zum Entsetzen der Familie Theaterkritiker und Stückeschreiber, gründete mit anderen den literarischen Verein ''Phoebus'' und die Halbmonatsschrift für Literatur, Musik und Bühne ''Der Spiegel''. Er tauchte ein in die schillernde Welt der Münchner Bohème und des von ihm verehrten Bürgerschrecks Frank Wedekind. Mit knurrendem Magen zog er durch die Schwabinger Künstlerlokale, hockte diskutierend und auf der Jagd nach Abenteuern im ''Café Stefanie'', im ''Café Prinzregent'' oder in den ''Torggelstuben'' neben dem ''Hofbräuhaus''.
1910 begegnete das ''Margarinebarönchen'', wie Feuchtwanger in der Literatenszene genannt wurde, Marta Löffler, der Tochter des jüdischen Kurzwarenkaufmanns Leopold Löffler und dessen Frau Johanna. Feuchtwanger hatte damals nicht den besten Ruf. Als seine zu den umschwärmten und begehrten Münchner Schönheiten gehörende Marta ein Kind von ihm erwartete, heirateten sie am 12. Mai 1912 im Kreise ihrer Eltern in Überlingen am Bodensee. Im September, auf ihrer ausgedehnten Hochzeitsreise, kam die Tochter Marianne zur Welt, die einen Monat nach der Geburt starb. Beinahe hätte Lion Feuchtwanger auch seine Frau, die an Kindbettfieber erkrankt war, verloren. ''Ich war fest davon überzeugt, daß er es war, der mir die Zähigkeit gab, das Fieber zu überleben'', schrieb sie in ihren Memoiren. Ihre Ehe hielt 46 Jahre, bis zu Feuchtwangers Tod im Alter von 74 Jahren am 21. Dezember 1958 in Los Angeles. Nach seinem Tod verwaltete und pflegte Marta Feuchtwanger in ihrem großen Haus in Pacific Palisades sein großes literarisches Erbe, bis sie, die bis ans Ende ihrer Tage von wachem Verstand und münchnerischem Humor blieb, am 25. Oktober 1987 im hohen Alter von 96 Jahren starb.
Der Tod der Tochter 1912 hatte die fortan kinderlose Ehe zusammengeschweißt. Aus der anschließenden zweijährigen Wanderung durch Italien wurde eine lebenslange Wanderung durch Armut und Wohlstand, durch zwei Kriege, durch Verfolgung, Gefangenschaft und immer wieder unter Strapazen errungene Freiheit, durch Enttäuschungen, Liebe und Glück. ''Ich hab' mir mein Leben nie besser gewünscht,'' sagte sie, hoch in den Neunzigern. Die Frauengestalten in Feuchtwangers Romanen trugen stets auch Züge seiner Frau, die ihm Zeit seines Lebens Kritikerin und Ratgeberin war. Sie war es, die sich um seine anfällige Gesundheit sorgte und die ihn zweimal aus der Gefangenschaft befreite: das erste Mal, als sie 1914 in Tunis vom Ausbruch des Ersten Weltkrieges überrascht wurden und ihr Mann dort in französische Kriegsgefangenschaft geriet. Marta Feuchtwanger besorgte falsche Papiere, becircte einen Offizier und floh mit ihrem unter Kohlensäcken versteckten Mann auf einem italienischen Schiff. Das zweite Mal befreite sie ihn mit Hilfe des amerikanischen Vize-Generalkonsuls in Marseille aus einem südfranzösischen Internierungslager der nazifreundlichen Vichy-Regierung. Er wurde im Sommer 1940, in Frauenkleider gehüllt, aus dem Lager ''entführt''. Zu Fuß floh das Ehepaar über die Pyrenäen nach Spanien und Portugal und von hier aus im September/Oktober 1940 getrennt auf Schiffen nach New York. In Amerika errichteten sich die Feuchtwangers ihre vierte Existenz.
Die erste, in München, hatten sie nur zögerlich und erst dann aufgegeben, als die behördlichen Schikanen, die Pöbeleien auf der Straße und der politische Druck von rechts gegen seine Veröffentlichungen unerträglich geworden waren. Feuchtwanger, der bis Anfang der Zwanziger Jahre mit seinen Stücken, Theaterkritiken, Aufsätzen und Romanen nur mäßig erfolgreich gewesen war, hatte inzwischen Erfolg und war bekannt. Sein 1923 erschienener Roman ''Die häßliche Herzogin Margarete Maultasch'' über die Herrscherin von Tirol und Kärnten im 14. Jahrhundert wurde ein Bestseller, ebenso sein 1921/22 geschriebenes und 1925 erschienenes Buch ''Jud Süß'' über das Schicksal des Juden Josef Süß Oppenheimer, der Anfang des 18. Jahrhunderts zum Finanzier des württembergischen Herzogs Karl Alexander aufstieg und schließlich im Zuge von Judenverfolgungen hingerichtet wurde, nachdem er sich geweigert hatte, zum Christentum überzutreten. Aus Angst vor der politischen Rechten hatten die Verlage es zunächst abgelehnt, das Buch zu drucken. ''Jud Süß'', den die Nationalsozialisten als Vorlage für ihren 1940 bei den internationalen Filmfestspielen von Venedig preisgekrönten antisemitischen Hetzfilm benutzten, wurde zum Weltbestseller. Bis heute sind weit über drei Millionen Exemplare dieses Romans in über drei Dutzend Sprachen verkauft. ''It's nearly like Feuchtwanger,'' bekam Ende der Zwanziger Jahre der Literaturnobelpreisträger Thomas Mann zu seiner Verblüffung über sein eigenes Werk zu hören.
Aber in Berlin ließ seine Heimatstadt Feuchtwanger nicht los. Er schrieb das noch heute als Schlüsselroman über die Entwicklung des Nationalsozialismus geltende Buch ''Erfolg''. In diesen ''drei Jahren Geschichte einer Provinz'' umreißt Feuchtwanger ein präzises Psychogramm der Hitler-Bewegung. Mit brillanter Schärfe seziert er die kleinbürgerlichen Verhältnisse im nachrevolutionären Bayern der Jahre 1921 bis 1924 und beschreibt am Leben der kleinen und großen Leute dieser Jahre die politischen und persönlichen Zusammenhänge und wirtschaftlichen Interessen, die schließlich zum Zerfall der Rechtsordnung und dem Emporkommen der Nazi-Bewegung führten. Obwohl das spannende Buch von seinen Figuren lebt, sind nicht sie die Helden: ''Das Land Bayern ist der eigentliche Held meines Romans'', sagte Feuchtwanger. Die Nationalsozialisten schäumten über das Buch, das ihren Führer als lächerliche Marionette entlarvte. Im NSDAP-Zentralorgan ''Völkischer Beobachter'' hieß es in einer im Oktober 1931 erschienenen Rezension: ''Nach dieser Leistung bleibt dem Löb Feuchtwanger wohl nur noch zu bescheinigen, daß er sich einen zukünftigen Emigrantenpaß reichlich verdient hat''.
Feuchtwanger hatte frühzeitig die nationalsozialistische Bewegung durchschaut. Bereits am 21. Januar 1931, zum 40. Geburtstag seiner Frau, hatte er in der Berliner Zeitung ''Welt am Abend'' geschrieben: ''Was also Intellektuelle und die Künstler zu erwarten haben, wenn erst das Dritte Reich sichtbar errichtet wird, ist klar: Ausrottung. Das erwarten denn auch die meisten, und wer irgend unter den Geistigen es ermöglichen kann, bereitet heute seine Auswanderung vor. Man hat, wenn man unter den Intellektuellen Berns herumgeht, den Eindruck, Bern sei eine Stadt von lauter zukünftigen Emigranten''. Der nationalsozialistische ''Angriff'' antwortete prompt: ''Heil und Sieg, Herr Feuchtwanger und gute Reise. Sie sind ein blendender Prophet''. Und dann taten Lion und Marta Feuchtwanger etwas, was nach diesen unmißverständlichen Worten kaum einer ihrer Freunde verstehen konnte: Sie kauften sich im Berliner Grunewald ein hübsches Haus und machten sich ''mit viel Eifer'' daran, wie Alfred Kantorowicz verwundert beobachtete, es ''mit Geschmack komfortabel und prächtig auszustatten als eine Heimstätte für Lebenszeit''.
Zwei Jahre später saß ein hoher Nazi-Funktionär in dem Haus. Am 10. Mai 1933 flogen Feuchtwangers Bücher mit denen anderer Repräsentanten fortschrittlichen deutschen Geistes auf die Scheiterhaufen des neuen Reiches, Feuchtwanger gehörte zu den ersten, die als ''Volksverräter'' gebrandmarkt und ausgebürgert wurden, und der Börsenverein des deutschen Buchhandels begrüßte die Aktion. Die verbrannten Bücher seien ''Asphaltliteratur'', keifte des Führers Propagandaminister Joseph Goebbels. In einer Rundfunkrede stempelte er Feuchtwanger zum ''ärgsten Feind des deutschen Volkes''. Die Feuchtwangers haben Hitlers Schergen nicht zu fassen bekommen. Als sie im Januar 1933 die Macht an sich rissen, war Marta Feuchtwanger gerade im Skiurlaub in St. Anton und Lion Feuchtwanger auf einer mehrmonatigen Vortragsreise durch die Vereinigten Staaten. Am Abend der Machtergreifung sagte Feuchtwanger bei einem Dinner des deutschen Botschafters in Washington an die amerikanischen Gäste gewandt: ''Hitler means war!''.
Lion und Marta Feuchtwanger trafen sich in St. Anton in Österreich, gingen von dort zunächst in die Schweiz und ließen sich schließlich im Frühjahr 1933 in Sanary-sur-Mer an der Cotes d'Azur, in der Nähe von Toulon, nieder. Ihr Haus, ihr Vermögen und vor allem die Bibliothek sowie Manuskripte waren verloren. In der Villa Valmer bauten sie sich ihre dritte Existenz auf. Bald waren die Feuchtwangers nicht mehr allein: ''Sanary war ein sehr umfangreiches Romanisches Café, mit Marmortischen und Badehosen. Namentlich im Sommer wurde das Nest überfüllt von literarischen Kaisern. Die Luft war geschwängert mit originellen Aperçus, Indiskretionen und Krächen'', schrieb Feuchtwangers Freund Ludwig Marcuse in seinen Memoiren.
In den sieben Jahren französischen Exils verfaßte Feuchtwanger mehrere Romane. Die bekanntesten sind ''Die Geschwister Oppermann'' über das Schicksal einer jüdischen Familie in Berlin in der Zeit um die Machtergreifung sowie ''Exil'', ein Roman über das Leben der Emigranten in Paris. Daneben engagierte er sich in verschiedenen Emigrantenorganisationen und war als einer der Prominenteren mit dabei, wenn es galt, den Nationalsozialisten in Wort und Schrift das bessere Deutschland entgegenzuhalten. Einer seiner engsten Weggefährten war dabei sein alter Freund aus Münchner Tagen, Heinrich Mann. Feuchtwanger war im Vorstand des 1933 in Paris wiedergegründeten Schutzverbands Deutscher Schriftsteller, baute die ''Bibliothek der verbrannten Bücher'' mit auf, sprach auf dem ''l. internationalen Schriftstellerkongreß zur Verteidigung der Kultur'' 1935 in Paris und leitete 1937 die deutsche Delegation bei der Tagung des internationalen PEN-Clubs in Paris. Doch die Hoffnungen der Feuchwangers, das französische Exil sei nur der ''Wartesaal'' für die baldige Rückreise in ein von den Nazis befreites Deutschland, trogen. Für viele Freunde wurde es gar Endstation, für andere, die Glück hatten wie die Feuchtwangers, Durchreisestation ins nächste Exil. 1940, als die Nazi-Truppen in Paris einmarschierten, wurden die Emigranten plötzlich zu ''feindlichen Ausländern'' erklärt, das Literatennest in Südfrankreich hieß nun im Volksmund ''Sanary la boche''. In der alten Ziegelei von Les Milles bei Aix-en-Provence, eine Autostunde von Sanary entfernt, wurde Feuchtwanger interniert und mit ihm Alfred Kantorowicz, Max Ernst, Friedrich Wolf und Tausende andere. Marta Feuchtwanger kam in das Frauenlager Gurs in den Pyrenäen. Feuchtwanger schrieb über die Haft: ''Der Teufel in Frankreich war ein freundlicher manierlicher Teufel. Das war schlimmer als wenn er grausam und böse gewesen wäre''. Kantorowicz berichtete später über den Feuchtwanger jener Wochen: ''Es erwies sich, daß der Besitzer von Luxusvillen im Grunewald und in Sanary die Widerwärtigkeiten und physischen Strapazen des Konzentrationslagers mit einem Humor überkam, der ihn bald zu einem Zentrum der Gequälten und Geängstigten machte. Sie suchten sich an seiner Ruhe und an seinem Rate aufzurichten. Er war vom Morgen bis in die Nacht hinein umlagert von Hilfesuchenden, denen er in seiner leisen eindringlichen Weise Mut zuzusprechen suchte - wiewohl nur wenige so gefährdet waren wie er selber. Er wurde unser Sprecher beim Kommandanten des Lagers''.
Mit der Einsetzung der Vichy-Regierung aber wurden die Inhaftierten zur Beute der Nationalsozialisten. Bevor in diesen Lagern ebenfalls Todestransporte nach Auschwitz zusammengestellt wurden, gelang Marta Feuchtwanger die Flucht aus Gurs. Sie schlug sich nach Marseille durch, von wo aus sie mit dem amerikanischen Vizekonsul Harry Bingham auch auf Bitten von Eleonor Roosevelt, der Gattin des US-Präsidenten, die Feuchtwanger kannte, die Befreiung ihres inzwischen in ein Zeltlager bei Nimes verlegten Mannes organisierte.
In Amerika siedelten sich die Feuchtwangers in Kalifornien an, wo Marta Feuchtwanger bald jene traumhaft gelegene Villa mit dem schönen Ausblick auf den Pazifik fand, in der Lion Feuchtwanger bis zu seinem Tode lebte und arbeitete. Ludwig Marcuse, den es auch hierher verschlagen hatte, beobachtete, wie der nunmehr 60jährige Hausherr sich ''nach alter Weise abermals die Wände aus Büchern, ein drittes Male baute. ''Das war ein gewaltiges Mausoleum aus den Werken der Dichter. Ich ging immer zu ihm, wenn die Bibliothek meiner Universität versagte''. ''Ein wahres Schloß am Meer'' nannte Thomas Mann, der sich in der Nähe niedergelassen hatte, die 22 Zimmer zählende spanische Villa, in der sich zuweilen die Crème der Emigrantenszene traf.
Das letzte Drittel seines Lebens mußte Feuchtwanger außerhalb Deutschlands verbringen. Dennoch hatte der Kosmopolit, der jüdische Weltbürger, als der er sich Zeit seines Lebens verstand, stets ein ''Zuhause'': ''Meine Heimat'', so sagte er, ''ist die deutsche Sprache''. Und: ''Ich bin ein deutscher Schriftsteller, mein Herz schlägt jüdisch, mein Denken gehört der Welt''. Immer wieder spiegelt sich dieses Denken in seinen Werken wider; vor allem seine zwischen 1930 und 1940 entstandene Romantrilogie ''Der jüdische Krieg'', ''Die Söhne'' und ''Der Tag wird kommen'' ist ein deutliches Bekenntnis zum Internationalismus. Das Buch ''Der jüdische Krieg'' über die Zerstörung Jerusalems im Jahre 70 durch ein Heer des römischen Feldherrn Titusals Folge eines fanatischen jüdischen Nationalismus enthält zugleich die Warnung an die eigenen Glaubensbrüder, dem ''Faschismus der anderen, sei er deutsch, oder polnisch oder wie immer, einen jüdischen Faschismus entgegenzusetzen''. Judentum, so sagte Feuchtwanger, sei keine gemeinsame Rasse, kein gemeinsamer Boden, keine gemeinsame Lebensform, keine gemeinsame Sprache: Judentum sei eine gemeinsame Mentalität, eine gemeinsame geistige Haltung.
''Wer sich in Lion Feuchtwangers geistiger Behausung zurechtfinden will'', schrieb der Philosoph und Sozialwissenschaftler Max Horkheimer, ''muß etwas von den süddeutschen Juden wissen, wie sie nicht nur in München zu finden sind, sondern auch in Stuttgart oder im Baden Johann Peter Hebels. Ihr Dasein stand, bis Hitler den Einheitsstaat grauenvoll verwirklichte, unter einer freundlichen Paradoxie. Sie waren nicht im gleichen Sinn assimiliert wie in Berlin oder in Frankfurt, sondern hielten mit dem Eigensinn, nicht unähnlich dem der christlichen Süddeutschen, an der religiösen Orthodoxie fest. Aber sie wurden dadurch nicht von der anderen Bevölkerung isoliert wie im Osten. Die
Reste vorkapitalistischer Unmittelbarkeit und universalistischer Denkweise, die in jenen Gegenden überlebten, erlaubten es den seit Menschengedenken ansässigen Juden, sich ihr Eigenes zu erhalten und zugleich ihren Platz im Leben aller einzunehmen, weithin unversehrt von Haß. Sie durften verschieden sein und doch an der Nähe und Wärme der ländlichen Städte teilhaben. Die ökonomische Zurückgebliebenheit der Landschaft hatte sich ihnen gegenüber in fortgeschrittene Humanität umgesetzt. Feuchtwanger spiegelt diese Humanität wider''.
Neben seinem kosmopolitischen jüdischen Element, mit dem er in vielen seiner Bücher immer wieder die Überlegenheit des Geistes gegenüber primitivem Materialismus skizzieren wollte, benutzte er weite Rückblenden in die Geschichte, um Gegenwartsprobleme am historischen Beispiel um so greller sichtbar werden zu lassen. In seiner Rede vordem Schriftstellerkongreß in Paris 1935 über ''Sinn und Unsinn des historischen Romans'' sagte er, wenn Schriftstellerin ihren historischen Werken ihre Menschen und Ideen zeitlich distanzieren, dann sicher ''nur um der besseren Perspektive willen, in der Überzeugung, daß man die Linien eines Gebirges aus der Entfernung besser erkennt als mitten im Gebirge''. Er selbst habe im Kostüm, in der historischen Einkleidung immer nur ein Stilisierungsmittel gesehen, ein Mittel, auf die einfachste Art die. Illusion der Realität zu erzielen. Er könne sich nicht denken, daß ein ernsthafter Romandichter, der mit geschichtlichen Stoffen arbeitet, in den historischen Fakten etwas anderes sehen könnte, als ein Mittel der Distanzierung, als ein Gleichnis, um sich selber, sein eigenes Lebensgefühl, seine eigene Zeit, sein Weltbild möglichst treu wiederzugeben. Er habe sich stets ''bemüht, historische Romane für die Vernunft zu schreiben, gegen Dummheit und Gewalt, gegen das, was Marx das Versinken in die Geschichtslosigkeit nennt''.
Einer seiner herausragenden historischen Romane ist der über den spanischen Hofmaler Francisco Goya und dessen Kampf mit der Inquisition der katholischen Kirche. Das Buch ist zugleich eine Anklage gegen die moderne Form der Inquisition, in diesem Fall gegen den McCarthyismus Anfang der Fünfziger Jahre, gegen das Komitee für unamerikanische Umtriebe und das FBI, durch das Feuchtwanger bis zu seinem Tod bespitzelt wurde. Als Gegner des Nationalsozialismus und Faschismus blieb der linksbürgerliche Intellektuelle auch in den Ländern seiner Zuflucht zeit seines Lebens ein als Kommunismus-Sympathisant Verdächtigter, Verfolgter. Über 700 Blatt umfaßte sein ''File'' beim FBI. Die Folge war, daß Feuchtwanger sich in seiner Villa am Hang über der Santa-Monica-Bucht verkroch, je stärker der äußere politische Druck auf ihn wurde.
Er kehrte nach dem Krieg auch nicht nach Deutschland zurück, wie sein Freund Brecht, der in die DDR ging. Zwar hinderte ihn die amerikanische Einbürgerungsbehörde durch das Verschleppen der Entscheidung über den Staatsbürgerschaftsantrag an einer risikolosen Ausreise nach Deutschland - er mußte befürchten, daß ihm wie seinerzeit Charlie Chaplin die Wiedereinreiseerlaubnis entzogen würde -, aber er hat auch nie ernsthaft von sich aus an eine Übersiedlung in das Nachkriegsdeutschland Ost oder West gedacht. Seine Beteuerungen, er wolle auf jeden Fall bald nach Deutschland kommen, fühle sich jedoch durch seine Arbeit am Reisen gehindert, waren eher hinhaltend. Nun war das Bild des Nachkriegsdeutschland mit seinem vom Kalten Krieg geprägten politischen Klima auch nicht gerade einladend. Je mehr Bücher die DDR von ihm druckte, desto schwerer waren sie in der Bundesrepublik zu haben. Der einst verbrannte Dichter wurde hier nun wieder aus den Regalen des Buchhandels verbannt. Erst ab Mitte der Siebziger Jahre kletterten seine Auflagenzahlen in der Bundesrepublik allmählich. Im übrigen dürften die politischen Repräsentanten beider Deutschland insgeheim ganz froh gewesen sein, daß der prominente Feuchtwanger blieb, wo er war. Unbequem wäre er hüben wie drüben gewesen: den einen, weil er zu links und gegen die intellektuelle Dumpfheit der Politik des Kalten Krieges eingestellt war, und den anderen, weil er bei aller politischen Fortschrittlichkeit eben doch einliberaler Münchner Großbürger geblieben schien, der sich nicht so leicht hätte vereinnahmen lassen wie seine Bücher. Dennoch schmerzte es ihn, fern seiner Heimat zu sein, je älter er wurde. ''Daß ich nie mehr nach Europa kommen sollte, scheint mir ein übler Traum, wie ich ihn nie geträumt habe. Ich bin sicher, daß es einmal möglich sein wird. (...) Optimist, der ich bin, glaube ich seit Jahren, daß es in jeweils zwei Jahren soweit sein wird'', schrieb er 1955 in einem Brief an seinen inzwischen in Ost-Berlin lebenden Freund Arnold Zweig.
Feuchtwanger sah Deutschland nie wieder; nur seine Frau unternahm einmal
- und nur sehr zögernd - 1969 eine Reise in die alte Heimat, nach Deutschland, nach München. Feuchtwanger erhielt immerhin 1952 von der Münchner Universität die Doktorwürde zurück, die ihm die Nationalsozialisten 1933 aberkannt hatten. Und 1957 verlieh ihm die Stadt München untererheblichen politischen Bauchschmerzen den Kultur- und Literaturpreis. Was er jedoch nie zurückerhielt, war die deutsche Staatsbürgerschaft. Und die amerikanische wurde ihm verweigert. Der Kosmopolit Lion Feuchtwanger starb schließlich als Staatenloser, bis zuletzt - wie die Akten belegen - bespitzelt vom Geheimdienst.

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Cicero
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Kuba wartet. Auf den Überlandbus, der selten kommt. Auf den alten sowjetischen Lastwagen, der mit einigen Dutzend Mitfahrern auf der Ladefläche über Strassen voller Schlaglöcher rumpelt. Auf den ausländischen Touristen mit dem komfortablen Mietwagen, bei dem ein Einheimischer sogar umsonst mitfahren kann. Oder einfach nur auf die einspännige und bunt geschmückte Pferdekutsche, die gemütlich durch den Ort trabt und Eilige ausbremst. Fröhlich und freundlich, hoffnungsvoll und optimistisch, mitunter auch erschöpft, resigniert und erloschen wartet ein ganzes Volk mit scheinbar grenzenloser Geduld jeden Tag in langen Schlangen und dicken Menschentrauben an den Strassenrändern und Weggabelungen darauf, irgendwohin mitgenommen zu werden, zur Arbeit, zu Verwandten, in die nächste Stadt – oder in ein anderes Leben... [...]
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Hamburg ist nicht der Kongo
Von Volker Skierka
Was unterscheidet Hamburg vom Kongo? Und was den kongolesischen Staatspräsidenten Generalmajor Joseph Kabila von dem Hamburger SPD-Kreisvorsitzenden und Major der Reserve Johannes Kahrs (übrigens tragen beide die gleichen Initialen J. K. im Namen)? Sehr viel. Deshalb lohnt der Vergleich. Im Kongo haben voriges Jahr Kahrs' Bundeswehr-Kameraden im Auftrag der Uno für einen recht ordentlichen Ablauf der Präsidentenwahl gesorgt. In Hamburg ist hingegen etwas passiert, was man bisher nur aus Ländern wie dem Kongo kannte: Erst hat der Kreisfürst und Bundestagsabgeordnete Kahrs - Mitglied des Männerbundes Wingolf sowie des Präsidiums des Förderkreises Deutsches Heer - einen Putsch gegen sein Parteioberhaupt Mathias Petersen inszeniert.
Dann, als das Opfer sich nicht so einfach meucheln ließ, half eine manipulierte Wahl nach. Deren Ausgang erfüllte schließlich das Ziel: Der Kopf ist ab... [...]
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Der Tagesspiegel
5. August 2006
Revolutionär von der traurigen Gestalt
Fidel Castros Abschied von der Macht: Die Götterdämmerung hat längst eingesetzt. Und was kommt dann?
© Volker Skierka
Auf dem Sterbelager diktiert der große Freiheitskämpfer eine bittere Erkenntnis in sein Testament: „Wer sich der Revolution verschreibt, pflügt das Meer“, sagt er und prophezeit: „Dieses Land wird unweigerlich in die Hände einer enthemmten Masse geraten, um dann an verkappte kleine Tyrannen aller Farben und Rassen zu fallen.“ Diese letzten Worte von Simón Bolívar (1783-1830), dem Befreier Südamerikas von der spanischen Krone, finden sich in dem Roman „Der General in seinem Labyrinth“ von Gabriel García Márquez. Bei der Lektüre drängt sich der Verdacht auf, dass der Autor aber nicht nur Simón Bolívar, sondern auch seinen langjährigen Freund, den kubanischen Staatschef Fidel Castro vor Augen hatte.

Der ist so schwer erkrankt, dass er Anfang der Woche vor einer bedrohlichen Darmoperation die Macht „vorübergehend“ an seinen Bruder Raúl übertrug. Höhepunkt eines in den letzten Jahren zunehmend sichtbareren gesundheitlichen Verfalls des Máximo Líder. Damit stellen sich die Fragen nach der Zukunft der Tropeninsel drängender denn je zuvor... [...]
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B26 Europa/Lateinamerika
Feb. 2006
Zeitschrift für Kultur, Wirtschaft, Politik/ Revista de Cultura, Economía, Política
Mit Castros Tod kann die Repression auf Kuba zunehmen
Interview mit Volker Skierka
Von Guillem Sans
(Para la version espagnola: click Menü / Texte / Archiv)

Auszug:

Wie sehen Sie die Zukunft des Landes nach dem Tod des Máximo Líder?
Ich bin sehr besorgt über die Aussichten. Die amerikanische Politik ist bekannt. Mit Bush hat sich das Verhältnis eher noch verschärft. Andererseits hat man einen kleinen Spalt im Helms-Burton-Gesetz geöffnet. Unter dem Label „humanitäre Hilfe” sind seit Jahren enorme Lebensmittellieferungen nach Kuba möglich. Es ist so, dass die Kubaner jedes Jahr mittlerweile für zwischen 400 und 500 Millionen Dollar Lebensmittel gegen Barzahlung in den USA einkaufen. Das ist das Resultat einer unermüdlichen Lobbyarbeit der – eher republikanisch orientierten – amerikanischen Landwirtschaft und Lebensmittelindustrie – zum Ärger der Europäer.

Was können europäische Diplomaten tun?
Die Beziehungen zu Europa sind praktisch komplett eingefroren. Es gibt weder ein amerikanisches noch ein bekanntes europäisches Konzept für das postcastristiche Kuba. Das einzige, was man von offizieller kubanischer Seite weiß, ist, dass Raúl Castro, der fünf Jahre jüngere Bruder, die Nachfolge antreten soll, und zwar nicht als Einzelherrscher, sondern als primus inter pares. Aber Fidel Castro greift neuerdings auch jenes Wirtschaftskonzept an, mit dem Kuba in den letzten zehn Jahren eigentlich ganz gut gefahren ist. So liegt jetzt alles wieder im Dunkeln.

Wie schätzen Sie den Strategiewechsel der Europäer ein?
Die Europäer haben ja den Versuch gemacht, und zwar ausgehend von Spanien, im vorigen Frühjahr die Frostperiode zu beenden, indem sie Lockerungen in den Beziehungen in Aussicht gestellt haben. Und als man nach einigen Vorsondierungen glaubte, jetzt käme man mit den Kubanern auf offizieller Ebene wieder ins Gespräch, hat Castro das ja brüsk unterbunden. Er hat sich sogar darüber lustig gemacht, die Regierung Zapateros in Spanien düpiert und gesagt, er brauche weder Europa noch die USA. Das mag für ihn gelten, aber wie soll es nach ihm für die Kubaner weitergehen? Er sollte froh sein, dass die Europäische Union sich um Kuba mehr zu sorgen scheint als die USA, die nur das Geschäft sehen.

Stillstand also...
…und Rückschritt: für das kubanische Volk eine desaströse Situation. ... [...]
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Der Tagesspiegel
27.02.2005
Guantánamo III
Stacheldraht im Kopf
In Guantánamo sitzen zurzeit 550 Häftlinge: ein rechtsfreier Raum, ein Desaster für die Demokratie. Und alle reden von Bushs Charme-Offensive
© Volker Skierka
Im Jahr 1874 meldete der Farmer J.F. Glidden aus Illinois eine Erfindung zum Patent an, welches die Tier- und später auch die Menschenhaltung revolutionieren sollte: den Stacheldraht. Seither erobert der mit spitzen Zacken versehene gezwirbelte Draht die Welt. Was ursprünglich dafür gedacht war, große Viehherden zusammenzuhalten, ist heute eine der effizientesten – und preiswertesten – Defensivwaffen der Menschheit.

Seine harmloseste Verwendung findet der Stacheldraht bei der Abwehr von Einbrechern, sein grausamster Einsatz spiegelt sich in den Bildern der Kriegsfotografie und denen der Konzentrationslagern der Nationalsozialisten – als Umzäunung von Gefangenenlagern und tödlichen Minenfeldern. Nach dem Zweiten Weltkrieg trennte er als Eiserner Vorhang Ideologien und Völker, in Sechzigern Polizisten von Demonstranten und bis heute weltweit Militärkasernen, staatliche Einrichtungen und Amtsträger vor verdächtigen Bürgern. Seit den Terroranschlägen vom 11. September hat es den Anschein, als werde der ganze Erdball allmählich eine Stacheldrahtkugel, der Reisefreiheit und den offenen Grenzen in der globalisierten Welt zum Trotz. Die fortschreitende Vernetzung der Bürger geht einher mit einem Verlust ihrer Bewegungsfreiheit... [...]
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DER TAGESSPIEGEL, Dritte Seite
26.01.2004
Guantánamo II
Wo endet das Recht?
Hunderte von „Terroristen“ sitzen in einem US-Lager weitab von der Welt – ein Besuch in Guantanamo Bay auf Kuba
© Volker Skierka
Die Farbe Orange. Seit dem 11. September 2001 steht sie in Amerika für den Verlust von Freiheit. Als Synonym für ein Leben in ständiger Bedrohung. Bei Terroralarm der Stufe „Code Orange“ droht überall Gefahr. Und Reisen in den Zeiten von „Code Orange“ bedeutet: Jeder ist verdächtig. Doch als der Autor an einem Januarmorgen im Marinestützpunkt Jacksonville in Florida sein Ticket mit der Nummer „VS206804PRC000“ in die Hand gedrückt bekommt, weiß er, dass er keine Gefahr für die nationale Sicherheit der Vereinigten Staaten darstellt. Schon vor Wochen musste sich sein Name auf eine Odyssee durch die Computer des Pentagon sowie der US-Sicherheits- und Geheimdienste begeben, ehe er die Erlaubnis erhielt, auf dem Militärflug BLM3 mitreisen zu dürfen. „Allein neun Tage dauerte es, bis Ihre FBI-Überprüfung vorlag“, wird ihm später jemand verraten. „Checked and cleared“, und „embedded“ in die von ihm unterschriebenen Verhaltensregeln der Public-Relations-Abteilung des US-Verteidigungsministeriums ist er schließlich unterwegs an ein für gewöhnliche Reisende verbotenes Ziel... [...]
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DER TAGESSPIEGEL
22.04.2002
Guantanamo I
Was tun die Yankees auf Kuba?
© Volker Skierka
Das knusprig-braune und fettglänzende Brathuhn, das der kubanische Kellner serviert, weckt nostalgische Erinnerungen an den legendären Gold-Broiler zu DDR-Zeiten. Um so mehr, weil der Blick vom Mittagstisch direkt auf eine Grenzanlage fällt, die dem „antifaschistischen Schutzwall“ ähnelt, welcher einst die Erde in ideologisch verfeindete Hälften dividierte. Minenfelder, Panzersperren, Stacheldrahtverhaue, Bunker, elektronische Sicherungsanlagen, Patrouillenwege, Wachtürme sind von dem über 400 Meter hoch gelegenen Aussichtspunkt „Los Malónes“ aus zu sehen. Dazwischen ein einsamer Grenzübergang, überragt von zwei Fahnenmasten. An dem diesseits flattert die kubanische Flagge, an jenem drüben die der Vereinigten Staaten von Amerika. „Drüben“, das ist der US-Flottenstützpunkt Guantánamo. Er ist 117,5 Quadratkilometer groß und liegt auf kubanischem Territorium. Uncle Sam, Fidel Castros Klassenfeind, hat ihn sich vor 99 Jahren angeeignet. [...]
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